Mittwoch, 20. November 2013

Verführung als Waffe – La “French Touch”. Von Johanna Möhring

Wettbewerbsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit – das Wort ist in Frankreich in aller Munde, besonders mit Blick auf den deutschen Nachbarn. Aber wie schrecklich unzivilisiert ist sie doch, diese Wettbewerbsfähigkeit. Allein schon die Idee, den Vergleich in offener Konfrontation zu suchen, muss einen Franzosen ob seiner Primitivität schockieren. Nein, Frankreich ist da traditionell viel subtiler. Wie Elaine Sciolino, langjährige New York Times-Korrespondentin in Paris für alle Nicht-Franzosen aufdeckte, dreht sich hier - ganz im Gegensatz zum deutschen Nachbarn - alles um Verführung. Und das auch jenseits von Flirt oder erotischer Eroberung.

Die Wichtigkeit von Stil und Form lässt sich in Frankreich in keinster Weise unterschätzen. Verführung, das “Für-Sich-Gewinnen” mit Hilfe von Ästhetik und intellektueller Brillanz ist ein Herrschaftsinstrument, dessen sich Frankreich auch in den internationalen Beziehungen bedient. Besorgte Zeitgenossen fragen sich jedoch, inwiefern Verführung funktionieren kann, wenn die stillschweigend angenommene zugrundeliegende Machtbasis, auch ökonomischer Natur, einer stetigen Erosion ausgesetzt ist - zuletzt symbolisiert durch eine weitere Herabstufung französischer Kreditwuerdigkeit zu Beginn November. Während Frankreich sich selbst weiterhin als glaubhafte Alternative zum „ultraliberalen“ angelsächsischen Modell wahrnimmt, quittiert die Welt solche Ansprüche zunehmend mit Unglauben.

Vor ziemlich genau zehn Jahren meldete sich Nicolas Baverez, ein klassisches Produkt der französischen Elite (École Nationale d'Administration und École Normale Supérieur, Kaderschmieden der politischen Klasse Frankreichs) mit „La France qui tombe. Un constat clinique du déclin français“ (Frankreich fällt. Eine klinische Analyse des französischen Niedergangs) zu Wort. Die Anklagepunkte dieser Streitschrift, die auf geschlossene Ablehnung stiess, haben nichts an Aktualität verloren: Stagnation der Kaufkraft und Anstieg von Armut; großzügige Verteilung von unfinanzierten und unfinanzierbaren sozialen Rechten; mangelnde Staatsinvestitionen in Forschung und Entwicklung; ein überdimensionierter öffentlicher Sektor, der den produktiven Teil der Wirtschaft erdrückt; ein mangelhaftes Bildungssystem, das einen Teil seiner Jugend ohne jeglichen Abschluss auf den Arbeitsmarkt entlässt;  das ganze gekrönt von einer Regierung „der Beamten, durch die Beamten und für die Beamten“, die vor dringenden nötigen Reformen zurückschreckt und sicher lieber dem kurzfristigen Machterhalt widmet.


“Wenn Verführung zur Waffe wird” - Gesehen auf Pariser Strassen (Herbst 2013)

Dass es um Frankreichs Wirtschaft in der Tat nicht besonders gut steht, dürfte bekannt sein. Die Arbeitslosigkeit erreicht weiterhin Rekordwerte (11% gegen 5,3% in Deutschland), eine leichte Besserung nach der Sommerpause war leider nur auf eine Statistikpanne zurückzuführen. Die französische Industrie, die 3 Millionen Menschen zu Lohn und Arbeit verhilft (in Deutschland sind es ca. 8 Millionen), verliert weiter an Boden – von 2007 bis 2012 schwanden 309 000 Arbeitsplaetze dahin, waehrend im selben Zeitraum in Deutschland 155 000 dazukamen.

Schuld ist ein Teufelskreis, der sich nur schwer durchbrechen lässt: Französische Industriegüter sind, was die Wertschöpfung betrifft, tendenziell eher im Mittelfeld anzutreffen und so anfällig für Lohnstückkosten-Konkurrenz aus dem Ausland. Dringend nötige Investitionen in Produktionsanlagen und Mitarbeiter werden jedoch aufgrund zu knapper Margen seit Jahren aufgeschoben. Diese schmelzen zudem weiter zusehends dahin: Schuld ist der aktuelle Versuch, die Konsolidierung der Staatsfinanzen allein per Steuererhöhungen erreichen zu wollen. Zudem steckt Kooperation von kleinen und mittelständischen Unternehmen untereinander oder mit Universitäten oder mit grösseren Firmen noch in den Kinderschuhen. Ein Dienstleistungssektor, der der produzierenden Industrie wie in Deutschland zuarbeitet, entwickelt sich aufgrund höherer Löhne nur langsam. Aber ist die Lage wirklich so düster, wie sie gerne gemalt wird?

“Wettbewerbsfähigkeit kann auch sehr schön sein”
Eine Arbeit von Renotte Riot, einem Bronzespezialisten, Teil der französischen Luxusgüterindustrie, die 2011 einen Handelsbilanzüberschuss von 34 Milliarden Euro erwirtschaftete (Luft-und Raumfahrt brachte es im selben Jahr auf 17 Milliarden).

In der Tat braucht die französische Industrie den von Louis Gallois angemahnten “Kompetitivitätsschock” (hier zum Bericht des „Generalinvestitionskomissars“ Louis Gallois). Betrachtet man aber einmal isoliert die Lohnstückkosten in der Industrie, die rein preisliche Wettbewerbsfähigkeit, liegt Frankreich nicht weit entfernt von Deutschland. Laut einer McKinsey Studie von 2012, “Manufacturing the future: The next era of global growth and innovation”, belaufen sich die durchschnittlichen Lohnkosten inklusive Sozialleistungen in Frankreich auf 26,7 USD/h (ca. 19 EUR) und in Deutschland auf  28,4 USD/h (ca. 20,6 EUR). Durch Auslagerung von nicht-wesentlichen Teilen des Produktionsprozesses nach Mittel-und Osteuropa sinken diese in Deutschland jedoch um 20%. Hier könnte Frankreich sich den Maghreb mehr zu Nutze machen, und so lässt sich sicher auch ein Teil der Mittelmeerpolitik Frankreichs erklären.


 Renault und „La French touch” - Mit Humor gegen deutsche Konkurrenzprodukte
Eine Anspielung auf VW- Werbungen in Frankreich “Das Weltauto”

Wo Frankreich punkten kann, ist in einigen Bereichen der Wirtschaft die nichtpreisliche Wettbewerbsfähigkeit, zum Beispiel, was Design und Qualität betrifft. Die Marke “Made in France” ist durchaus etabliert, die Konnotationen sind jedoch eher kultureller, gesellschaftlicher oder politischer Natur. Spontan kommen einem Mode und Lifestyle, Filmindustrie, Tourismus oder Landwirtschaft in den Sinn. Es fehlt jedoch im Gegensatz zu deutschen Produkten eine reine Qualitäts- oder Technik-Narrative. So betonen französische Automarken vor allem Design, statt ihre Ingenieurkunst in den Vordergrund zu stellen. Das stellt  für die durchaus innovative französische Hightech/ Militär/ Luftfahrt-Branche ein “Imageproblem” dar. Neuankömmlinge auf dem Markt umgehen dieses Hindernis gerne, in dem sie sich englische Namen geben, wie zum Beispiel Parrott (drahtlose Musikanlagen) oder Bookeen (Lesegeräte).


“Rendez-vous en France” – zwei Logos für die französische Tourismusindustrie. Die formschöne, aber recht offenherzige erste Version wurde dann doch zensiert

Frankreich hat, ob preisliche oder nichtpreisliche Wettbewerbsfähigkeit, in gewissen Branchen durchaus einige Asse im Ärmel, die sich sicher ausbauen liessen. Die eingangs von Nicolas Baverez beschriebenen Hindernisse, die Frankreichs Unternehmertum zum Hürdenlauf werden lassen, bleiben jedoch auch zehn Jahre nach seinem aufrüttelnden Manifest bestehen. Den sogenannten Eliten mangelt es an Kreativität - statt zu handeln, erwartet man lieber vom Staat Problemlösungen, die dieser nicht liefern kann. Mehr als 20% der 18-24-Jährigen verlassen das französische Bildungssystem jedes Jahr ohne Abschluss und damit ohne reelle Chance auf Einstellung. Und was eine fehlende Kultur der Kooperation und Konzertation in Krisenzeiten anrichtet, lässt sich aktuell in der Bretagne erkennen, wo eine offene Revolte gegen eine Ökosteuer zu Millionenschäden führt.

Verführung als Waffe im Arsenal der Machtausübung hat sich für Frankreich über Jahrhunderte bewährt. Doch sollte es nicht in der Lage sein, die Fundamente seiner Macht – Wirtschaftskraft, Innovationfähigkeit und „Staatskunst“ – zu erneuern, läuft es Gefahr, seine Anziehungskraft zu verlieren.

Ein entscheidender Trumpf, den Frankreich in den nächsten 15-20 Jahren gegenüber Deutschland spielen kann und wird, ist der sehr viel favorablere demographische Ausblick. Über kurz oder lang wird der Mangel an Nachwuchs Deutschlands Wirtschaft in arge Bedrängnis bringen. Frankreichs Frauen, quer durch alle Schichten, kriegen im Schnitt 2,1 Kinder, was ausreicht, um die Bevölkerung stabil zu halten. Im stetig ergrauenden Europa und vor allem im Vergleich zu Deutschland (1,4 Kinder pro Frau) ist dies rekordverdächtig. Der - typisch französische - “Deklinismus” will und kann aus gegebenen Anlass leider nicht aus der Mode kommen: Doch eine Gesellschaft, die an ihre Zukunft glaubt (und was anderes sind Kinder?), hat Lebensenergie. Es wäre verfehlt, Frankreich und sein Verführungspotential zu früh abzuschreiben.

Freitag, 4. Oktober 2013

„Illusion der Nähe – Bundestagswahlen, gesehen aus Frankreich“ von Johanna Möhring

Die Wahlen zum 18. deutschen Bundestag – die heisse Phase es Wahlkampfs, der Wahlausgang, sowie die „Nach der Wahl ist vor der Wahl“-Verhandlungen zur Regierungsbildung bieten ausgiebigen Anlass, sich mit dem deutschen Nachbarn auseinanderzusetzen. Doch schon im Vorfeld des Wahlsonntags machte das Studium der französischen Presse deutlich: Der enge europäische Partner ist ein weitgehend unbekanntes Wesen, mit dem man sich eher aus Pflichtbewusstsein, denn aus wahrem Interesse beschäftigt. Die Illusion der Nähe offenbart tiefe Unkenntnis: Der Blick auf Deutschland wird von wenigen namhaften deutsch-französischen Experten und stetig wiederkehrenden Klischees geprägt. Drei Themen dominieren die aktuelle Berichterstattung aus und über Deutschland: Die Person der Kanzlerin und die Feinheiten des deutschen politischen Systems, die Schattenseiten von Merkels Deutschland, sowie die Frage “Wie geht es nach den Bundestagswahlen nun weiter in Europa?” Nach der schon fast atemlosen Aufregung vor der Wahl folgt nun ein gewisses ermattetes Unverständnis über die anstehenden, schier endlosen Koalitionsverhandlungen.

„Objectif Chancellerie“ („Ziel Kanzleramt“)
Rätselhafte, beim deutschen Volk so überaus beliebte Machtpolitikerin, die Hände zum Merkelschen Rombus geformt, „Mutti“, hart gegen das Ausland, und seltsam elastisch im Inland  – Die Person der Kanzlerin lässt auch in Frankreich niemanden kalt. “Merkel, la mainmise sur l'Allemagne” (“Merkel, Deutschland fest im Griff”) titelt die linke “Liberation.” Unter anderem der rechte „Figaro“, die Wirtschaftszeitung „Les Echos“, sowie „Le Monde“ verkünden am 22. September den historischen Triumph Merkels. Aber gilt dieser wirklich uneingeschränkt? Die links-orientierte Wochenzeitschrift “Marianne” weist denn auch darauf hin, dass trotz des Wahlsieges der CDU eine Mehrheit in Deutschland für Parteien des linken Spektrums gestimmt hat. Damit hätte die amtierende und zukünftige Kanzlerin “trotz arithmetischen Sieges politisch die Wahlen verloren.”

Wer sollte es den Franzosen verübeln, ob unseres Systems zur Bundestagswahl, „einer mit Personenwahl verbundenen Verhältniswahl" ins Grübeln zu kommen? Ob Wahlsystem, welches einer klaren politischen Polarisierung entgegenwirkt oder Koalitionskonfigurationen, die in Frankreich nicht immer nachzuvollziehen sind: Herausgearbeitet werden die Unterschiede zum politischen System Frankreichs. Warum nicht eine rot-rot-grüne Koalition, fragt sich das Land, welches neben einer kommunistischen Partei, deren Hammer und Sichel erst nach dem Fall der Sowjetunion aus den Parteiinsignien entfernt wurden, über ein buntes linkes Spektrum in Regierungsverantwortung verfügt? Die Weichenstellung durch das Bad Godesberger Programm der SPD von 1959, sowie die Geschichte der “Linken” ist den wenigsten bekannt.


„Schwarz-Grün? Revolutionär!“
Der „Figaro“ verweist auf das Corneilsche Dilemma der SPD, ein aus der französischen Literatur stammender feststehender Ausdruck einer unmöglichen Wahl zwischen zwei sich gegenseitig ausschließenden, aber gleich wichtigen Werten – erneute Teilnahme an einer Regierung Merkel würde zu einem weiteren Profilverlust der Partei führen, jedoch könnten die Wähler den Gang der SPD in die Opposition ebenfalls abstrafen. Was die Hypothese einer schwarz-grünen Koalition angeht, haben französische Beobachter große Zweifel, wie hier ein Spagat funktionieren soll. Dass die „Grünen“ ein klares ideologisches Nord-Süd-Gefälle aufweisen, in Baden-Württemberg einen Ministerpräsident stellen und zum Beispiel im wohlhabenden München zuletzt zweistellige Werte in Kommunalwahlen erzielten, ist hierorts, wo sich Sozialisten und Grüne in der Regierung gerade über die hiesige Behandlung der Roma zerfleischen, noch nicht weiter aufgefallen.

Von „Precarité“ (sozialer Unsicherheit) und „SMIC“ (gesetzlichem Mindestlohn)
In jüngster Zeit muss Frankreich, sobald es um politische und wirtschaftliche Fragen geht, zähneknirschend dem Dauervergleich mit Deutschland, dem Euromusterknabenland, welches mit erledigten Sozialreformen, niedrigen Arbeitslosenzahlen und Exportüberschuss glänzen kann, standhalten. So ist es nicht erstaunlich, dass sich die französischen Dossiers zu Wahl besonders mit der Kehrseite der Medaille von Merkels Deutschland beschäftigen. Dramatisch einbrechende Demographie, die Unfähigkeit, genug Einwanderer anzulocken, doch vor allem die negativen Folgen der Hartz-IV Reformen - wachsende Ungleichheiten und arme Arbeiter - finden in Frankreich großes Medienecho. Hier ist das Wort „precarité“, welches Unsicherheit und Zerbrechlichkeit ausdrückt und besonders im sozialem Kontext gebraucht wird, in aller Munde. Zum Glück würden nun die Deutschen endlich von den Franzosen lernen und demnächst einen gesetzlichen Mindestlohn einführen (der sogenannte SMIC, der Salaire minimum interprofessionnel de croissance liegt in Frankreich aktuell bei 9,43 EUR brutto).
„Deutschland – Kehrseite eines Modells“
Nicht nur die „Libé“ prangert scheinbar Dickens'sche Zustände an

Manche französische Beobachter sprechen gar vom „German bashing“ (sic), so sehr würde explizit auf die katastrophalen Zustände im deutschen Niedriglohnsektor hingewiesen. Vereinzelte Stimmen, wie zum Beispiel die französische Ausgabe des „Capital“ und der „Figaro“ machen jedoch darauf aufmerksam, dass es sich um eine gesellschaftliche Präferenz (besser geringfügig beschäftigt als arbeitslos) handelte, die zudem gesamtwirtschaftlich positive Folgen in Form geringerer struktureller Arbeitslosigkeit, robuster Binnennachfrage und Ausbau des Dienstleistungssektors hätte. Die Zahlen – Arbeitslosigkeit (5,4% versus 10,9%), Jugendarbeitslosigkeit (12% versus 25%) und Beschäftigungsquote (mehr als 72% versus 62% in Frankreich) sprächen eine deutliche Sprache. Zwar würden 22% der Beschäftigten (gegenüber 7% in Frankreich) weniger als zwei Drittel des medianen Stundenlohns verdienen. Doch mehr als 70% der „Minijobber“ (Hausfrauen, Rentner, Studenten und Zweitjobber) seien mit ihrem Los durchaus zufrieden.

Interessierte Franzosen können zudem dem (leider nicht auf Deutsch verfügbaren) Essay „Made in Germany (Das Modell Deutschland jenseits des Mythos)“  entnehmen, dass Deutschlands Erfolg eher auf seine sozialpartnerschaftlichen Beziehungen und auf sein duales Ausbildungssystem, denn auf die Agenda 2010 zurückzuführen ist. Seinem Verfasser, Guillaume Duval, Chefredakteur der monatlich erscheinenden „Alternatives Economiques“ (gegründet als Antwort auf Thatcher's „There is no alternative“) kann kaum übertriebene Arbeitgebernähe vorgeworfen werden.

Kommt nun der europäische Quantensprung?
Nicht nur vielen Franzosen kam es so vor, als hätte die anstehende Bundestagswahl zu einer künstlichen Pause im politischen Leben Europas geführt. 2013 war das Jahr, in dem in der EU nichts passierte, jedenfalls bis Ende September nichts passieren durfte. Das Thema Europa fand  dann auch im deutschen Wahlkampf schlicht nicht statt. Wie soll es nun aber weitergehen? Kommt der große Sprung, ein “Mehr” an Europa, auch an den ausdrücklichen Wünschen der deutschen Wähler vorbei? Was bedeutet das Abschneiden der neuen politischen Formation, Alternative für Deutschland (AfD)? Würde eine große Koalition mit der SPD zu einem „weicheren“ Kurs für Europa führen? Wird Frau Merkel endlich „le leadership“ in Europa übernehmen? Und wie soll sich Frankreich positionieren? Die linke Wochenzeitung „Nouvel Observateur“ entwirft schwarz-grau-rosa Szenarien, was Merkel III für Europa bedeuten würde, wobei rosa die „Europäisierung Deutschlands“, eine Vollendung der Bankenunion und die Einführung von Eurobonds und grau eine weitere „Germanisierung“ Europas, fortgesetzte Ordoliberalismus-Kuren bedeuten würde. Die „Echos“ wünschen Angela schlicht alles Gute bei der „Mission Impossible:“ Rettung Europa.

Von Cuba aus gesehen: Merkel hat sie alle in der Hand (copyright Alfredo Martirena)

Doch laut „Le Monde“ täuschen sich die Franzosen, wenn sie große Veränderungen, auch aus der Dynamik des deutsch-französischen Verhältnisses erwarten. Sparkurs und Reformdruck bleiben aufrechterhalten. Und höchstwahrscheinlich hält sich die Begeisterung für einen direkten Führungsanspruch Deutschlands sehr in Grenzen. Gérard Foussier, Chefredakteur der deutsch-französischen „Dokumente/Documents“ brachte es auf einer von Jacqueline Hénard moderierten Podiumsdiskussion am 26.09.13 am „Institut Catholique“ in Paris, an der auch Joachim Bitterlich und Prof. Hélène Miard-Delacroix teilnahmen, treffend auf den Punkt. In den deutsch-französischen Beziehung träfen sich zwei Komplexe: Auf der einen Seite Deutschland, welches nie wieder so stark wie in jüngerer nationalsozialistischer Vergangenheit sein will und auf der anderen Seite Frankreich, welches nie wieder so schwach wie unter selbigen Bedingungen sein möchte. „Ne plus jamais être aussi fort, ne plus jamais être aussi faible.“ An diesen Parametern haben auch die Bundestagswahlen nichts geändert.

Mittwoch, 4. September 2013

Wie ein Friedensprojekt zum Zankapfel wurde – Zur wachsenden Germanophobie in der EU. Von Johanna Möhring

Die Europäische Union zieht ja bekanntermaßen einen großen Teil ihrer Daseinsberechtigung daraus, dass sie dem europäischem Kontinent dauerhaft Frieden beschert hätte. Das Herzstück dieses Friedensprojektes bildet die Aussöhnung zwischen den ehemaligen Erbfeinden Deutschland und Frankreich. Auch dem Euro, vorrangig im Dienste der wirtschaftlichen Einigung des Kontinents unterwegs, in Wahrheit jedoch ein zutiefst politisches Projekt, wurde im Vorfeld zusätzlich das Kostüm des Friedensengels übergezogen. Denn schon vor seiner Einführung im Jahre 1999 warnten Ökonomen vor den fehlenden wirtschaftlichen Voraussetzungen der zu schaffenden gemeinsamen Währungszone. Zu heterogen erschienen die Mitgliedsländer, zu wackelig die Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Doch Deutschland nahm auf Drängen Frankreichs den Souveränitätsverlust, die Aufgabe seiner eigenen Währung billigend in Kauf, Wiedervereinigung oblige: Der Stabilitäts-und Wachstumspakt und die zukünftig zu erwartende Konvergenz zwischen Mitgliedsstaaten sollten etwaige Bedenken ausräumen. Eine Europäisierung der die Wirtschafts– und Währungsunion notwendig ergänzenden politischen Kompetenzen, wie zum Beispiel Budgethoheit, ließen sich in Verhandlungen zum Maastricht-Vertrag nicht durchsetzen.

Die seit 2008 andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise, die ab 2010 in eine Schuldenkrise der europäischen Staaten mündete, zwingt nun Politiker und Bürger gleichermaßen, sehr unangenehmen Tatsachen in die Augen zu sehen: Anstatt wie erhofft ein friedliches Deutschland dauerhaft in Europa zu verankern, ist der Euro zum Zankapfel geworden, der Europa spaltet. Zum Schrecken besonders der deutschen Bevölkerung mutiert Deutschland ungewollt vom „guten“ Deutschen, der seine Kräfte und seinen Wohlstand in den Dienst Europas stellt, zum „hässlichen“ Deutschen, der Europa wirtschaftlich und damit politisch dominiert, gar unterjocht. Von Hakenkreuzfahnen-schwenkenden Griechen einmal ganz abgesehen: Umfragen dokumentieren wachsende Unruhe gegenüber Deutschlands Führungsrolle, die ihm als einzigem noch mehr oder weniger solventem Euroland in den Schoss gefallen ist: Nach einer Harris-Meinungsumfrage der Financial Times von Juni 2013 zeigen sich zum Beispiel 88% der Spanier und 82% der Italiener über den wachsenden Einfluss von Deutschland in Europa besorgt (Ende 2011 beliefen sich die Umfragewerte noch auf respektive 67% und 53% ).  56% aller Franzosen teilen diese Meinung.

Für die Deutschen, die jede Vorstellung von Hegemonie zurückweisen, ist diese Entwicklung nicht nur schmerzhaft, sondern auch besorgniserregend.

„The Horror, the horror“...Angela Merkel alias Col. Walter E. Kurtz im tiefen Dschungel der Wirtschafts-und Währungsunion

Gerade Frankreich hat an der Erosion seiner Vormachtstellung in Europa, die durch die Irren und Wirren der gemeinsamen Währung offenbar wird, schwer zu knappsen. Zwar billigte im Juli der Internationale Währungsfond Frankreichs Abkehr vom radikalen Sparkurs, eine gute Nachricht für Hollande im französischen Sommerloch. Doch das Grundproblem, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft, die ein kostspieliges Sozialsystem stemmen muss und seit Jahrzehnten daran scheitert, Arbeitsplätze, besonders für junge Menschen, zu schaffen, bleibt bestehen. Wie man dem Ende letzten Jahres vorgestellten Berichts des „Generalinvestitionskomissars“ Louis Gallois entnehmen kann, hat Frankreich durchaus das demographische und innovationstechnische Potential, eine wirtschaftliche Strukturwende zu schaffen. Doch dazu braucht es einen langen Atem, von einer sich erst langsam entwickelnden Konsenskultur ganz zu schweigen.

Da ist es natürlich einfacher, ob politisch rechts oder links, auf die Nachbarn östlich des Rheins zu schimpfen, die sich mit Hilfe des Euro unliebsamer wirtschaftlicher Konkurrenz in Europas entledigten.  Es ist kein Zufall, dass zum Beispiel ein Emmanuel Todd, namhafter Geograph und einflussreicher Sozialforscher diesen Mai in einer Talkshow im 2. Programm des staatlichen französischen Fernsehens zum Thema Germanophobie in der EU gleich zweimal das Wort „exterminer“ (vernichten; Vernichtungslager heißen auf französisch „camps d'extermination“) im Zusammenhang mit deutscher Industriepolitik benutzte. Im Beisein der beiden sichtlich geschockten deutschen Gäste der Sendung, Ulrike Guérot und Joachim Bitterlich. Und ohne Widerrede seitens der französischen Gastgeber. Gewiss war diese Sendung absichtlich polarisierend inszeniert. Doch solche Äußerungen sprechen Bände über die Gefühle, die ein wirtschaftlich, und damit de facto politisch dominierendes Deutschland nicht nur in Frankreich hervorrufen.

Es ist wahrlich eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die EU (und mit ihr der Euro), dieses normativ-regulatorische Korsett, das Deutschland in eine für Europa und für sich erträgliche Form pressen sollte, nun nolens volens Deutschland zu wirtschaftlicher, und damit politischer Vormachtstellung verholfen hat. Gleichzeitig erscheint Deutschland aber aufgrund des europäischen und nationalen institutionellen Rahmens fast manövrierunfähig, hin- und her gerissen zwischen den widersprüchlichen Anforderungen, die es erfüllen soll. Auf der einen Seite stehen Deutschlands Bürger, die deutliche Zweifel an weiterer Kompetenzverlagerung (Stichwort Bankenunion und Fiskalunion) zur Rettung der gemeinsamen Währung ausdrücken (hierzu die aktuellen Open Europe/ YouGov Deutschland Umfrageergebnisse). Natürlich sei Europa für Deutschland wichtig, aber für den Euro viel Geld ausgeben und dann noch mit europaweitem Liebesentzug abgestraft zu werden? Nein danke! Hier pflichten andere EU-Staaten bei, die darauf hinweisen, dass nicht alle Europäer notwendigerweise wie Deutsche sein wollen oder sein können.  Die Anhänger eines „Mehr Europa“ im In- und Ausland pochen jedoch gerade auf weitere Vergemeinschaftung: Nur die konsequente Vollendung der Währungsunion durch politische Union, oder zumindest eine Euro-Solidargemeinschaft wären ein Ausweg aus der Krise. Und ungefähr alle sind sich einig, dass das aktuelle Krisenmanagement mit Hang zu intergouvernementalen Entscheidungen zu Intransparenz und mangelnder demokratischer Legitimität beiträgt.

Lange Zeit war es nicht nur notwendig, sondern auch bequem, nationale Anliegen in den Mantel europäischer Interessen zu hüllen. Doch die Zeit der Deckungsgleiche ist endgültig vorbei. Niemand bestreitet, dass Deutschland institutionell und emotional gehemmt ist, Führungsverantwortung zu übernehmen. Und auch dem oberflächlichsten Beobachter kann nicht entgangen sein, dass Euro-Problemlösungen aus technischer und politischer Sicht mehr als herausfordernd sind, zumal immer gleichzeitig auf mehreren Spielfeldern (national, EU-Ebene,  internationale Finanzmärkte...) gespielt wird. Was Deutschland von europäischen Partnern in der Eurokrise jedoch vorgeworfen wird, ist eine Mischung aus Arroganz und Ahnungslosigkeit. Schwer wiegt die offensichtliche Abwesenheit einer Strategie, vor allem die einer Kommunikationsstrategie, was längst vergessen geglaubten Ressentiments Tür und Tor öffnet. In Deutschland schrillen deshalb die Alarmglocken: Altkanzler Helmut Schmidt warnte zum Beispiel im Dezember 2012 vor deutschen Alleingängen. Ein „deutsches Europa“, so Ulrich Beck, welches anderen sein Wirtschaftsmodell aufzwänge, könne es nicht geben. Laut Jürgen Habermas und Joschka Fischer (respektive in einer Rede im April 2013 in Leuven und in einem Gastbeitrag im Mai 2013 in der Süddeutschen Zeitung) hätte Deutschland allein schon aus historischer Sicht die Pflicht, gemeinsame Haftung, einen EU-weiten Länderfinanzausgleich und den (weiteren) Verlust nationaler Souveränität hinzunehmen.

Europa 2021, Wien die Hauptstadt eines „germanischen“ Europas? Peter Arkle illustrierte für das Wallstreet Journal eine Polemik von Niall Ferguson aus dem Jahr 2011

Graf Kielmansegg spricht im Zusammenhang des deutschen Umgangs mit der Europäischen Union von einer “Sakralisierung” des Projekts europäischer Einigung, Ziel und Zweck dessen nicht hinterfragt werden darf und kann. Solch freiwillige Selbstbeschränkung, selbst mit den besten Absichten, entmündigt jedoch den Bürger und delegitimiert in letzter Konsequenz die Demokratie an sich. Auch wenn besonders wir Deutsche das gerne glauben würden, Politik lässt sich nicht auf die Umsetzung moralischer Imperative reduzieren. Sie bedeutet auch Machtausübung, Konflikt, Dissens, Debatte. Und den ein oder anderen Regelbruch.

Es lohnt, sich vor Augen zu führen, dass es trotz der äußerst komplexen Lage (starres Regelkonstrukt der EU, besondere historische Verantwortung von Deutschland gegenüber seinen europäischen Partnern...) immer Entscheidungsoptionen gibt. Dekretierte „Alternativlosigkeit“ ist eine risikoreiche Strategie, die im Zweifel entscheidenden politischen Handlungsspielraum raubt. Angela Merkel scheint sich dessen bewusst zu sein -  so ließe sich vielleicht ihr sommerlicher Testballon bezüglich einer möglichen Rückverlagerung von EU-Kompetenzen auf nationale Ebene interpretieren. In Zeiten wachsender Germanophobie ist jedenfalls nicht Gesinnungsethik — ein Festhalten an Prinzipien, die sich eventuell als impraktikabel herausgestellt haben, sondern Verantwortungsethik — Handeln mit Blick auf seine Folgen gefragt. Das sind wir uns und Europa schuldig. 

Freitag, 19. Juli 2013

Die Ferien des “Monsieur tout le monde”. Von Johanna Möhring

Sommer in Frankreich – wenn man etwas typisch Französisches beschreiben müsste, dann das jährliche Ritual der ferienbedingten Völkerwanderung auf's Land, an's Meer oder in die Berge. Denn warum in die Ferne schweifen? So schön ist Frankreich, so viel hat es zu bieten, dass sich eine Reise in andere Länder fast nicht lohnt. Weiterhin verbringen 60 - 80% der Franzosen ihre Ferien zu Hause, gegenüber 30% der Deutschen. Zwei Monate entlässt die “École de la République” (Die Schule der Republik) ihre Schützlinge  – Zeit genug, um von dem oft strengen Ganztagsregiment zu verschnaufen. Aber nicht nur die Schüler atmen auf: Allerspätestens nach der Nationalfeier, dem Tag der Erstürmung der Bastille am 14. Juli und bis zum Schulbeginn in der ersten Septemberwoche verfällt Paris, die Schaltzentrale der Macht, in tiefen Dornröschenschlaf. Staatsverschuldung und Strukturreformen müssen warten. Das französische Sommerloch hat außer Präsidenten und Ministern in Badekleidung nicht viel zu bieten.

Wundervoll sind sie, diese Wochen außer Raum und Zeit, in denen Paris verlassen in der Sommerhitze liegt und sich scheinbar leise atmend von den Anstrengungen der ersten sechs Monate des Jahres erholt. Nur die vom Schicksal nicht mit den zur Reise nötigen Barmitteln Ausgestatteten (die Jungen, die Armen und zunehmend die Alten), sowie Touristen aus aller Herren Länder wandern, manchmal ein wenig verloren, durch die Strassen der Hauptstadt. Viel Platz gibt es auf einmal in der Metro und in den Parks; fasst könnte man das Gefühl bekommen, die Stadt gehöre einem selbst. Die Metropole bemüht sich nach Kräften, für die Daheimbleibenden ein tolles Sommerprogramm mit Freilichtkino, Lesungen und Konzerten auf die Beine zu stellen. Die staatlichen „Centres de loisirs“ (Freizeitzentren) empfangen täglich Kinder ab drei Jahren, deren Eltern arbeiten müssen, zu Spiel, Sport und Ausflügen, so dass auch die Nichtprivilegierten (ca. 5 von 10 Franzosen fahren gar nicht in den Urlaub, in Deutschland sind es nur 1 auf 10) ihren Sommer in guter Erinnerung behalten.
Sommerviertel-Festival für die Daheimbleibenden

Das  Recht auf bezahlten Urlaub wurde in Frankreich in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts erstritten. Natürlich nimmt der französische Otto Normalverbraucher, “Monsieur tout le monde” sommers nicht acht Wochen lang Ferien (der gesetzlich festgelegte Jahresurlaub beläuft sich auf fünf Wochen). Der öffentliche und der private Sektor funktionieren auch zur Sommerzeit, in den Ferienorten boomt zudem die Tourismusbranche. Seit Jacques Tati 1953 in seinem sanft melancholischen Film “Les vacances de Monsieur Hulot” (Die Ferien des Monsieur Hulot) Frankreich zur Ferienzeit so ungemein treffend eingefangen hat, ist das Land längst von den Zwängen des modernen Lebens eingeholt worden. Auch im Urlaub fordern tyrannische Chefs Verfügbarkeit und Erreichbarkeit „dank“ moderner Kommunikationsmittel. 20% der Berufstätigen arbeiten zudem freiwillig in der Ferienzeit: Ein produktiver Moment, denn nur selten wird man von einem Telefonanruf aus der Konzentration gerissen .

Telefonterror am Strand - „Schalten Sie Ihr Handy an, Bouchard“
(copyright vouch.com)

Die lange Ferienzeit beruht, wie so vieles in Frankreich, auf Tradition. Eine Agrarnation, die das Land noch bis in die 1950er war, brauchte in den Sommermonaten alle verfügbaren Hände, um auf Feld und Hof zur Erntezeit anzupacken. Der Anteil der Landwirtschaft beträgt mittlerweile zwar nur noch 2-4 % des Bruttosozialprodukts, aber Tourismus- und Lehrerlobby verteidigen eisern diesen Besitzstand. Die lange Ferienzeit gerät jedoch zusehends aus sozialen Gründen in die Kritik. Kürzte man die Ferien, hätten Kinder mehr Zeit, die im Lehrplan festgelegten Ziele zu erreichen und könnten sich mehr ausserschulischen Aktivitäten widmen. Zudem benachteiligt die lange Pause gerade bildungsferne Schichten. Während zum Beispiel ein Henri, Sprössling einer wohlhabenden Familie im Sommer privatfinanzierten Englischunterricht aufgebrummt bekommt, kickt sein Kollege Mamadou mit dem berühmten „Migrationshintergrund“ stattdessen oft unbeaufsichtigt den Fußball über den Sportplatz.

Und doch, und doch... Wie vernünftig ist so eine Halbzeit-Pause im Jahr. Man lässt die Beine baumeln, ob nun vom Pier in Deauville oder von einer Seinebrücke. Die Zeit bleibt stehen. Wenn im September die Blätter von den Platanen fallen, wird unweigerlich die Schlagzahl hochgedreht, Paris wimmelt auf einmal wieder von Menschen. Ein paar Tage noch hält der Erholungseffekt an, dann hat der Alltag alle wieder. Und man tröstet sich mit der Planung des nächsten Urlaubs.

Donnerstag, 13. Juni 2013

“Die Show muss weitergehen...” Von Johanna Möhring

Vielversprechend hatte das Jahr 2013 für die deutsch-französischen Beziehungen begonnen.  Auf feierliche Festakte im Januar zum 50. jährigen Bestehen des Elyséevertrags folgten jedoch Monate der Dissonanz, im besten Fall der Gleichgültigkeit. Von Paris und Berlin angestoßene Projekte, die der EU neue Impulse geben sollten, blieben aus. Nun meldete sich am 29. Mai das deutsch-französische Tandem mit dem gemeinsamen Positionspapier  “Frankreich und Deutschland – Gemeinsam für ein gestärktes Europa der Stabilität und des Wachstums” zurück. Im Vorfeld des Gipfels der EU-Staats- und Regierungschefs am 27./28.06 Juni, der unter anderem die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion via Bankenunion und verstärkter Politikkoordinierung, sowie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zum Thema haben wird, zeigten Angela Merkel und Francois Hollande lächelnd eine gemeinsame Front.
Der gemeinsame Blick in die Zukunft ist nicht immer einfach

In der Vergangenheit waren es oft Krisen, die die sehr unterschiedlichen Partner zu Kompromissen und gemeinsamen Initiativen zwangen. Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die seit 2008 andauert, hat allerdings fast unüberwindliche Unterschiede aufbrechen lassen, die sich nur mühsam überbrücken lassen. Und so entpuppt sich beim näheren Hinsehen einiges in dem gemeinsamen Papier als Absichtserklärung. Im Bereich “Förderung von Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung” gäbe es sicher viel zu tun, Deutschland sorgt sich um die mangelnde Kompetitivität des französischen Partners. Laut des letzten Berichts des Internationale Währungsfonds vom 3. Juni muss Frankreich, um im Jahre 2014 zumindest ein schwaches Wirtschaftswachstum zu erreichen, den Kurs der Strukturreformen und Einsparungen eisern weiterverfolgen; laut IMF leidet das Land unter einer exzessiven Steuerbürde.

Unter der Rubrik „Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion“ feierte Frankreich das Einlenken der Kanzlerin zur Bankenunion als diplomatischen Erfolg und großes Zugeständnis an den französischen Partner. Zur Erinnerung: Eine wahre Bankenunion ruht auf drei Pfeilern – einer Bankenaufsicht, einem Krisenresolutionsmechanismus und einem System der Einlagensicherung. Bis jetzt ist auf europäischer Ebene erst der erste Pfeiler einigermaßen festgezurrt, wobei das zusätzliche Mandat der EZB nicht frei von Kontroverse ist. Zwar wird in dem gemeinsamen Papier erstmals vage von einem gemeinsamen Krisenresolutionsmechanismus unter Beteiligung privater Interessen gesprochen, doch Deutschlands Vorbehalte vor europäischen Lösungen bleiben bis auf Weiteres bestehen. Eine von Frankreich erhoffte direkte Rekapitalisierung der Banken im Süden der Eurozone verschiebt sich weiter in die Zukunft. Zuerst einmal müssen zwei Direktiven zur Einlagensicherung und zur Bankenabwicklung auf nationaler Ebene umgesetzt werden, was für Sommer 2013 geplant ist. Dann könne man, jedoch nicht vor Ende der Legislaturperiode des Europäischen Parlaments im Jahre 2014 „... die Möglichkeit prüfen, den einheitlichen Abwicklungsmechanismus und den ESM [Europäischer Stabilitätsmechanismus] zusammenzuführen.“

Wie titelte der Canard Enchainé Mitte Mai so schön: „Das deutsch-französische Paar führt keine lustige Ehe“ (mit „mariage gai“ wird auf die Homosexuellenehe in Frankreich angespielt, welche in der Bevölkerung völlig unerwartet langandauernde, massive Proteste ausgelöst hatte). 

Auch was die „Wirtschaftspolitische Koordinierung und die soziale Dimension“ betrifft, bleiben Unklarheiten besehen, zumal eine Abstimmung von Wirtschaftspolitiken längst schon auf EU-Ebene vorgesehen ist. Nur scheint das der französische Präsident vergessen zu haben, denn er verkündete am 29. Mai in relativ rüdem Ton „Frankreich liesse sich von Brüssel nichts vorschreiben.“  Laut Positionspapier sollen diesen Herbst Diskussionen auf EU-Ebene über geeignete Indikatoren geführt werden, welche dann in vertragliche Vereinbarungen für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Solidaritätsmechanismen umgewandelt werden sollen.

Paris und Berlin haben besonders innenpolitisch alle Hände voll zu tun. Die Umfragewerte des französischen Präsidenten sind im Keller, weniger als ein Drittel aller Befragten sprachen im Mai der Exekutive ihr Vertrauen aus. Und ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem die politisch brisante Rentenreform angegangen werden soll, schwindet Francois Hollande's absolute Mehrheit im Parlament in Teilwahlen dahin. Der linke Flügel seiner Partei, der Sozialisten, ist schwer zu bändigen, und so wird in Zukunft verstärkt auf die Wünsche der parlamentarischen Partner („Grüne“ und Kommunisten) eingegangen werden muessen. Auf der anderen Seite des Rheins steht Angela Merkel neben Flutkatastrophe die Kleinigkeit einer Bundestagswahl ins Haus. Zudem prüft der Verfassungsgerichtshof am 11. und 12. Juni die Verfassungsmäßigkeit gewisser Aspekte der Geldpolitik der EZB (Stichwort “ESM” und “OMT”).

Ein Schelm, dem sich also der Eindruck aufdrängte, es ginge beiden Hälften des deutsch-französischen Paars vorrangig darum, die nächsten Monate ohne größere politische Wellen zu überbrücken.  Als Politikprofis liefern Francois Hollande und Angela Merkel einen beeindruckenden Drahtseilakt zwischen Vorstellung und tatsächlicher Machbarkeit. Chapeau! 

Donnerstag, 9. Mai 2013

Kurswechsel in Europa

In Brüssel hat sich der Wind gedreht - Drastisches Sparen ist seit letzter Woche nicht mehr angesagt. Am Freitag, den 3. Mai gab die Kommission,  Hüterin der EU-Verträge, Frankreich zwei Jahre auf Bewährung, um seinen Staatshaushalt den Defizitkriterien der gemeinsamen Währung anzupassen. Es steht damit nicht allein da: Unter anderem Spanien und den Niederlanden wurde ebenfalls Aufschub gewährt. Ein Erfolg für die Gegner der rigorosen Sparpolitik: "Den Thesen Frankreichs wurde Gehör geschenkt", so Pierre Moscovici, französischer Wirtschaftsminister. "Zwischen Verminderung des Haushaltsdefizits und Ankurbelung des Wirtschaftswachstums gewinnt letzteres die Oberhand, und das ist fundamental." 


Rigueur mesurée et soutenable? (Angemessene und erträgliche Budgetdisziplin?)

Grund für diese Umorientierung ist die mehr als triste Prognose für den Euroraum, die ein negatives Wirtschaftswachstum von -0.4% für das Jahr 2013 vorsieht; 2014 soll es kaum besser sein. Seitens der politischen Entscheidungsträger fürchtet man eine Revolte an den Urnen gegen die Sparpolitik, die extrem rechten und linken Kräften Stimmen zutragen könnte.  Zudem dräut eine Generalabstrafung Europas anlässlich der Europaparlamentswahlen 2014, bei der die Nicht-Wahlbeteiligung historisch rekordverdächtige Ausmasse annehmen dürfte.

Nicht nur der Internationale Währungsfond und die US-Regierung drängen seit einiger Zeit auf Politiken, die die Binnennachfrage stärken sollen. Auch intellektuell bekam die Antiausteritätsfraktion im April Unterstützung: Ein vielzitiertes Papier der Wirtschaftswissenschaftler Reinhart und Rogoff, die in einer Langzeitländerstudie ein radikales Abfallen des Wirtschaftswachstum ab einer Staatsschuldenquote von 90% des BIP festgestellt hatten, geriet wegen Berechnungsfehler und selektiver Datenauswahl in die Kritik. Da hilft es den „Austeritätsmaskottchen“ (so Paul Krugman auf seinem  NY Times blog) wenig, dass ihr Hauptergebnis, ein nachweisliches Einhergehen von vermindertem Wirtschaftswachstum bei steigenden, hohen Staatsschulden weiterhin Hand und Fuss hat (hier,, Seite 36).

In Berlin spielte man die Kursänderung in Brüssel herunter. Der Regierungssprecher Steffen Seibert kommentierte knapp, dass es der Stabilitäts- und Wachstumspakt im Prinzip erlaube, Ländern mehr Zeit zu geben, um ihr Defizit unter 3% zu bringen, vorausgesetzt, sie würden hierfür glaubhafte Anstrengungen unternehmen.

Noch scheint Bercy, der Sitz des Wirtschafts- und Finanzministeriums an der Seine, auch die Zitadelle genannt, an den vereinbarten Zielen des Abbaus des strukturellen Defizits* festzuhalten. Doch genau betrachtet, ist selbst unter der Hypothese einer verbesserten Konjunktur eine glaubwürdige Haushaltskonsolidierung und ein wirklicher Schuldenabbau rein rechnerisch nicht möglich. Erhöhung des Mindestlohns, Renteneintrittsalter von 60 Jahren, 60 000 neue Stellen im Erziehungs- und Bildungssystem, ein Ende der Politik, nur jeweils einen von zwei aus dem Dienst ausscheidenden Beamten zu ersetzen  - zwischen 2012 und 2013 haben sich die französischen Staatsausgaben um 20 Milliarden erhöht, was immerhin einem Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Die Möglichkeiten, statt über Einschnitte über Steuererhöhungen mehr Geld in die Staatskasse zu bekommen, sind weitgehend ausgeschöpft. Schon jetzt wirkt die Steuerlast (46,5% des Bruttoinlandsprodukts) hemmend auf das Wirtschaftswachstum. Auf Dauer sind nur wirkliche Reformen und eine Drosselung der Staatsausgaben ein Ausweg.


Dette publique? On ne paie pas! (Staatsschulden? Wir zahlen nicht!)

Im Prinzip hat Frankreich nun Zeit gewonnen, um seine Sozialsysteme umzubauen und seinen Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten. Paradoxerweise sind es oft linke Regierungen, die die Basis für marktwirtschaftlich-orientierte Strukturreformen schaffen (man denke an Mitterrand nach der 1983 ausgeführten 180-Grad-Wende oder an die Regierung Schröder nach 2003). Wird Hollande diese Chance ergreifen?


*denjenigen Teil des Staatsdefizits, der nicht auf konjunkturelle Schwankungen zurückzuführen ist

Donnerstag, 2. Mai 2013

Achsenbruch? Von Johanna Möhring

Das Tandem “Merkollande” startete bekanntlich nicht unter den besten Bedingungen: Francois Hollande hatte Wahlkampf mit dem Versprechen geführt, den mühsam ausgehandelten Stabilitätspakt neu zu verhandeln und der europäischen Sparpolitik ein Ende zu bereiten. Frau Merkel unterstützte im Gegenzug Hollandes Gegner Nicolas Sarkozy nach Kräften. Ein symbolträchtiger Blitzschlag, der das Flugzeug des französischen Präsidenten auf dem Weg nach Berlin zur Umkehr zwang, verzögerte den Antrittsbesuch bei der Kanzlerin. Nun zieht eine regelrechte Schlechtwetterfront von Westen heran, die das deutsch-französische Verhältnis dauerhaft trüben könnte. 

Nach Sparpolitik-bedingtem (Dauer-)Donnergrollen im Regierungsbündnis meldete sich am 25. April der Präsident der Nationalversammlung, der Sozialist Claude Bartolone mit der Forderung nach einer Bündelung des linken Flügels und einer zweiten Hälfte der Amtszeit Hollandes verstärkt im Zeichen der Sozialpolitik. Zudem erwarte er, dass Frankreich als Anführer der Euroländer, die den aktuellen ausschliesslichen Austeritätskurs ablehnten, mit Deutschland auf Konfrontation gehen sollte. Ein nicht ungefährliches Spiel. 
Alles neu macht der Mai... Aktueller Aufruf zur Demo gegen Finanzwelt
und Austerität auf Pariser Wänden

Ob Herr Bartolone seine schlecht verheimlichten Ambitionen auf den Premierministerposten verwirklichen kann, bleibt zu sehen. Fest steht jedoch, dass seine Attacken gegen Deutschland den Zeichen der Zeit, nicht nur in Frankreich, sondern auch in der sogenannten Europeripherie entsprechen. Am 26. April meldeten sich die Sozialisten mit einem Positionspapier für den im Juni geplanten Europa-Konvent der Partei, das Angela Merkel persönlich angreift. Das Papier beschwört die Horrorvision einer EU, in der außen der Freihandel und innen blinde Sparpolitik wütet, eines Europas, welches auf dem Altar einer unheiligen Allianz zwischen einem thatcheristischen England und einem unnachgiebig egoistischen Deutschland geopfert wird. Frankreich stände unter den großen europäischen Ländern allein mit einer wahrhaft europäisch gesinnten Regierung.

Zwar wurden die Bemerkungen ad hominem letztendlich herausgenommen. Jean Ayrault, der glücklose germanophile Premierminister tweetete auf deutsch im Dienste der deutsch-französischen Freundschaft, der Elysee-Palast wiegelte ab. Doch der Schaden ist da. Die deutsche Reaktion fiel seltsam gelassen, fast schon gleichgültig aus, woraus man wohl schließen kann, wie viel Berlin von den Franzosen aktuell erwartet.
Europäische Bestattungen - Wird die deutsch-französische Freundschaft zu Grabe getragen? 
Die wirtschaftliche Schwäche Frankreichs, der aktuelle Fokus der Europäischen Union auf rein ökonomische Themen, der außen- und sicherheitspolitische Fragen, wichtig nicht nur für Frankreich, sondern auch für die EU, vernachlässigen, der Unwillen Deutschlands, für die gemeinsam von 27 Regierungen getroffenen Entscheidungen angefeindet zu werden, ohne auf Rückendeckung von Frankreich hoffen zu können. Kann man unter solchen Bedingungen noch von einem deutsch-französischen Motor für Europa sprechen?

Donnerstag, 25. April 2013

Rutschpartie im Louvre. Von Johanna Möhring

Meist herrscht ja zwischen Deutschen und Franzosen freundliche Gleichgültigkeit. Sollte man jedoch Zeitungsartikeln unter anderem in “Le Monde”, der “Zeit” und der “FAZ” Glauben schenken, spielt sich zwischen Teilen von Frankreichs und Deutschlands Kulturelite momentan ein Psychodrama des Missverständnisses ab. Stein des Anstosses ist die Ausstellung “De l'Allemagne”, die im Louvre mehr als 200 Werke deutscher Kunst von Caspar David Friedrich bis Max Beckmann zum ersten Mal zusammen zeigt. Den Franzosen wird undifferenziertes Klischeedenken vorgeworfen, welches in gewohnter Weise eine gerade, fast teleologische Linie zwischen der teils dunklen Bildwelt der deutschen Romantik und dem Verhängnis des Nationalsozialismus zöge (unübertroffen die FAZ - “Aus tiefem Tal zu Riefenstahl“). Die “Zeit” vermutet gar eine bewusste politische Inszenierung, um deutsche Europapolitik und die von Deutschland orchestrierten Sparmaßnahmen zwecks Euro-Rettung zu dämonisieren. Die Franzosen sind ebenso erstaunt wie verletzt und verweisen auf deutsche Beteiligung bei der Konzeption der Ausstellung.

In der Pariser Metro: ...von hohen Bergen (Ausstellungsplakat mit Motiv von Carl Gustav Carus, 1824)
Vielleicht lag es am zügigen Durchschreiten bedingt durch den nur mässig erfolgreichen Versuch, zwei kleinen deutschen Kindern museal zuträgliches Benehmen abzuringen – ich konnte solch finstere Absichten nirgends entdecken. Vielmehr bot sich mir, wie wahrscheinlich vielen meiner Generation, die mit einem seltsam zeitlich zerrissenen Geschichts- und Kunstbild von Deutschland groß geworden sind, zum ersten Mal eine nachvollziehbare Entwicklung deutscher Kunst von der Romantik bis hin zur modernen Bildsprache des Expressionismus. Natürlich nach innen gewendet, suchend nach der eigenen Identität, einem politischen Selbstverständnis. Natürlich mit viel Natur und teils schwülstigen Mythen. Aber auch immer inspiriert im Austausch mit und durch das europäische Ausland.

Der  „Tagesspiegel“ rückt so auch den Eindruck zurecht, die Franzosen hätten sich einer bewussten Fehlinszenierung schuldig gemacht. Fakt ist, dass das Interesse an deutscher Kultur selten so stark war wie jetzt, und das jenseits von Wagner in Pariser Konzertsälen. Deutsches Theater und Tanz haben Hochkonjunktur: Thomas Ostermeier, Falk Richter und Peter Stein touren durch Frankreich, Stücke von Pina Bausch oder Sasha Waltz sind immer ausverkauft. Besucher strömen in die Deutschland-Ausstellung. Sicher sehen die Franzosen deutsche Kunst mit französischen Augen. Doch echte Neugierde, sich mit Deutschland über das Medium der Kunst zu beschäftigen, scheint vorhanden. 
...direkt in den Abgrund?  (Station „Stalingrad“ im 19. Arrondissement)
Anne Louise Germaine de Staël (1766 - 1817), genannt Madame de Staël, an deren Werk „Über Deutschland“ sich der Titel der Ausstellung inspiriert und welches über Jahre das Bild Deutschlands in Frankreich als Land der (wenn auch harmlosen) Dichter und Denker geprägt hat, hätte sich über solche Reaktionen amüsiert. Von ihr, deren spitze Zunge Goethe und Schiller das Fürchten lehrte, stammt das folgende Zitat: 
"Ein Franzose weiß immer noch zu reden, selbst wenn er keine Gedanken hat: ein Deutscher dagegen hat immer etwas mehr Gedanken im Kopf, als er aussprechen kann."
Ob hier vielleicht - ausnahmsweise - einmal das Gegenteil der Fall war?

Freitag, 19. April 2013

Frühlingsgrüße aus Brüssel: Fitness-Tips für den Sixpack. Von Johanna Möhring


Wenn die Außentemperaturen steigen, preisen namhafte Männerzeitschriften turnusmäßig Bauchmuskelübungen an, um das starke Geschlecht in Erwartung baldiger Strand- oder Schwimmbadbesuche in Form zu bringen (und/ oder in Selbstzweifel zu stürzen). Seit Dezember 2011 gibt es solch zweckdienlichen Hinweise zur körperlichen Vervollkommnung auch für die Mitgliedsstaaten der europäischen Union: Im Gegenzug zu diversen Notinterventionen der Europäischen Zentralbank (EZB) wurde damals ein Maßnahmenpaket mit dem schönen Namen "Sixpack" verabschiedet, um den arg mitgenommenen Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder aufzumöbeln, sowie makroökonomischen Ungleichgewichten vorzubeugen, beziehungsweise, diese abzubauen.

Wirtschafts- und Fiskalpolitik aller Mitgliedsstaaten, egal ob in- oder außerhalb der gemeinsamen Währung, sollen seitdem per "Europäischem Semester" aufeinander abgestimmt werden. Dass der Euro offensichtlich keinen optimalen Währungsraum bildet und eine gemeinsame Währung nicht zur Konvergenz seiner Volkswirtschaften geführt hat, kann niemand verborgen geblieben sein. Nun soll Konvergenz per Dekret erreicht werden, was mehr als nur leicht planwirtschaftlichen Zeuge trägt. Die europäische Kommission tritt hierzu, wenn nötig zusammen mit der EZB, als Fitness-Coach im Kampf gegen schwabbelige Staatsfinanzen auf. Falls Defizitziele verfehlt werden und gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte persistieren, drohen zumindest auf dem Papier ernsthafte Konsequenzen*.


Es bleibt leider meist bei guten Vorsätzen….

Frankreichs Präsident Francois Hollande hatte, um in Amt und Würden zu gelangen, kräftig abgespeckt. Ihn ziert jedoch weiterhin der wenig schmeichelhafte Spitzname "Flamby", nach einer beliebten Puddingmarke und dem Wortspiel "c'est du flan" (soviel wie "das ist Quatsch") - daran konnte auch die Militäroperation im Mali nichts ändern. Nach fast einem Jahr im Amt bleibt Hollandes Politik seltsam konturlos, Umfragewerte sind auf historischem Tiefstand.

Die Sozialisten wurden kraft ihres Versprechens gewählt, die Sparpolitik von Hollandes Vorgänger zu beenden und die französische Wirtschaft wieder anzukurbeln. Davon ist jedoch nicht viel zu spüren. Seit dem Wahlsieg der Sozialisten wird zwar statt von "Austerität" von "redressement des finances publiques", vom "Wiederaufrichten" der Staatsfinanzen gesprochen. Das Wirtschaftsministerium wurde zudem um einen Minister, Arnaud Montebourg und den Zusatz des wirtschaftlichen Wiederaufbaus ergänzt ("redressement productif"). Fakt ist jedoch, dass es um Frankreichs Staatshaushalt und Wirtschaft nicht gut steht. Daran sollte sich auch auf absehbare Zeit nichts ändern. Denn Frankreich hat mit strukturellen Defiziten zu kämpfen, die auf Reformunwillen von zwanzig Jahren zurückzuführen sind.

                       
              "Le changement, c'est du flan" (Der versprochene Wandel blieb leider aus)**

Am 10. April meldete sich die EU-Kommission mit einem Bericht über makroökonomische Ungleichgewichte, der auch Frankreich nicht verschonte: Chronisches Außenhandelsdefizit, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, steigende Lohnstückkosten, anämisches Wirtschaftswachstum, und vor allem Staatsverschuldung und staatliches Defizit, welche sich partout nicht an die vereinbarten Parameter von respektive 60% und 3% des Bruttoinlandsprodukts halten wollen.
"The need for action so as to reduce the risk of adverse effects on the functioning of the French economy and of the Economic and Monetary Union is particularly important notably given the size of the French economy." (EU-Kommission, 10 April 2013)

Diesen Bericht quittierte Bernard Cazeneuve, der Nachfolger des limogierten Budgetministers Cahuzac mit der lapidaren Aussage, man werde voraussichtlich 2014 die 3% Defizit-Grenze respektieren. Französische Wirtschaftsweise kritisierten daraufhin prompt die ihrer Meinung nach zu optimistischen Wachstumsprognosen des zugrundeliegenden Szenarios.

Frankreichs Präsident sprach es am 17. April in einer Rede vor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris noch deutlicher aus: Antwort auf die Krise seien nicht eine extreme Sparpolitik, sondern "Glaubwürdigkeit, Nachhaltigkeit und Stabilität." Wie dies mit Staatsausgaben von jeweils 56,9% sowie einer Steuerlast von 46,5% des Bruttoinlandsprodukts zusammengehen soll, ist nicht ganz offensichtlich. Fest steht jedenfalls, dass Hollande damit kein verlässlicher Partner für Angela Merkel ist. Zwar bleibt bis jetzt die Zinsdifferenz französischer Staatsschulden zur Rendite deutscher Staatsanleihen erträglich. Es stellt sich jedoch die Frage, wie lange Frankreich auf solch privilegierte Bedingungen für die Refinanzierung seiner Staatsschulden zählen kann, da es droht, in den berüchtigten Fiskal- und Staatsschulden-Abgrund zu stürzen. 

*Sollte ein Land, gegen das ein Verfahren wegen exzessiver Defizite angestrengt wurde, keine geeigneten Schritte unternehmen, um diese abzubauen, muss es 0,2% seines Bruttoinlandsprodukts auf ein zinsbringendes Konto gutschreiben. Falls weiterhin nichts geschieht, verwandelt sich die Einlage in eine Strafzahlung. Zusätzlich werden über eine spezielle Abstimmungsprozedur im Rat der Europäischen Union automatisch Sanktionen verhängt.
**Copyright vivi mac -> speed painting

Mittwoch, 10. April 2013

Der lange Marsch in die Sozialdemokratie. Von Johanna Möhring

Als SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück François Hollande am 5. April an der Seine besuchte, um für den Wahlkampf in Deutschland Schützenhilfe zu suchen, kam er bekanntermassen zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die sozialistische Regierung Ayrault ist durch den Rücktritt des ehemaligen Ministers Jérôme Cahuzac, der als oberster Hüter des Budgets Schwarzgeldkonten im Ausland unterhielt, arg in Bedrängnis geraden. So hatte man sich die "République exemplaire" ("Beispielhafte Republik", Wahlkampfslogan Hollande 2012) nicht unbedingt vorgestellt. Während der Skandal in der französischen Bevölkerung weitgehend mit Schulterzucken quittiert wird, befindet sich die politische Klasse Frankreichs im Aufruhr. Dagegen nehmen sich Steinbrücks Vortragshonorare fast schon wie "Petitessen" aus. 

Doch nicht nur, was politische Affären betrifft (generell gilt dies für jedwegige politische Couleur), klaffen zwischen Sozialisten und Sozialdemokraten Qualitätsunterschiede, auch ideologisch steht man sich eher fern. Während Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg für eine sozialausgerichtete Marktwirtschaft optierte, in der der Staat erst ergänzend zur Sicherung freier Marktmechanismen sozialpolitische Aufgaben wahrnimmt, ging Frankreich den umgekehrten Weg. Die Wirtschaft wurde dem Primat des Staates untergeordnet. Obwohl Freiheit offiziell das erste Prinzip der französischen Republik ist, existiert es in unmittelbarer Nachbarschaft zu Gleichheit und Brüderlichkeit - was der Freiheit nicht immer gut bekommt. 

Damals….
als der Maoismus im "Quartier Latin" noch Exportschlager war

"Der Kampf geht weiter"
(Jacques Carelman, 1968)

François Hollandes Sozialisten teilen sich die Regierungsverantwortung im Parlament mit farbenfrohen Elementen des linken Flügels - Grüne, Altermondialisten, Kommunisten, Radikale, die gemeinsam mit den Sozialisten wirtschaftsliberalen Prinzipien mehr als skeptisch gegenüberstehen. Das hat in Frankreich links wie rechts Tradition. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist hingegen seit langem Stützpfeiler der korporatistischen Politik- und Wirtschaftsorganisation Deutschlands. Man mag das bedauern, da wahre Unterschiede zwischen den Volksparteien oft nur noch schwer zu erkennen sind. Doch nicht nur Frankreichs Sozialisten blicken voll Neid auf die Resultate solch einer konsensorientierten Politik. 

Bewundert werden jenseits des Rheins vor allem die professionellen Arbeitgeber-/Arbeitnehmerbeziehungen, die zum Erhalt von Arbeitsplätzen, besonders in der Industrie in Zeiten der Krise geführt haben. Ebenfalls ringt die erfolgreiche Reform der Sozialsysteme unter der Regierung Schröder Bewunderung ab. Zwar werden gern die desaströsen sozialen Auswirkungen solch einer Deregulierung beschworen. Dass aber eine hohe Arbeitslosenquote (10,8% in Frankreich versus 5,4% in Deutschland), besonders eine hohe Jugendarbeitslosigkeit (26,2% versus 7,7% in Deutschland*) nun unbedingt sozial gerechter sei, will niemand wirklich vertreten. Zudem ist kein Geld mehr da, um solche Lakünen zu finanzieren - das kumulative Defizit der sozialen Sicherungssysteme hat im Zeitraum von 2002 bis 2012 160 Milliarden EUR erreicht. ** 

und heute… 
benutzt die Supermarktkette "Leclerc" die Ikonen der 1968 Protestkultur zu Werbezwecken 
"Wachstum ja, nur nicht der Preise"
     "Preissteigerung drückt Ihre Kaufkraft" 
                                "Es ist verboten zu verbieten, etwas billiger zu verkaufen"
(Gérard Deschanel, 2005)
Abbildungen aus der Ausstellung "L'Histoire de France Racontée par la Publicité", 2013


Vor diesem Hintergrund kommt die Unterzeichnung der nationalen Branchenvereinbarung vom 11. Januar 2013 ("Accord national interprofessionnel", ANI) einer kleinen Kulturrevolution gleich. Mit der Vereinbarung zwischen Arbeitgebervertretern (Medef, CGPME, UPA) und drei Gewerkschaftsbünden (CFDT, CFTC, CFE-CGC) hat das Prinzip der "Flexicurity"  (auf französisch "flexisécurité") wider Erwarten in Frankreich Einzug gehalten. Im Ausgleich einer Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen (Massnahmen zum Arbeitsplatzerhalt, interne Mobilität, Erleichterung der Kündigung…) erhalten Arbeitnehmer neue Rechte (mehr Zugang zu sozialen Zusatzversicherungen, Erhalt der Rechte auf Arbeitslosenunterstützung, Recht auf Fort- und Weiterbildung unabhängig vom jeweiligen Arbeitsplatz…). Zudem sieht die Vereinbarung Massnahmen zur Verbesserung des innerbetrieblichen Dialogs zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern vor.

Sollte der "Accord national interprofessionnel"  tatsächlich gesetzlich umgesetzt werden (die Regierung hat am 2. April hierzu einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der seitdem heiss diskutiert wird), dürfte er Frankreich sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich dauerhaft verändern. Es wäre angekommen - in der Sozialdemokratie. 

* Arbeitslosenzahlen Insee und Eurostat, Februar 2013
**Gesetzesentwurf Oktober 2012 zur Finanzierung der "Securite sociale"