Freitag, 5. April 2013

Je t’aime – ich Dich auch nicht. Von Johanna Möhring

France Culture, der staatliche Radiosender der französischen kulturellen Elite wählte „Je t’aime, moi non plus“ als Titel seiner eintägigen Sondersendung zum 50. Jubiläum der Unterzeichnung des Elyseevertrags, dem Kernstück deutsch-französischer Beziehungen. Beim näheren Hinsehen entpuppt sich dies als perfekt gewähltes Augenzwinkern. Sieht man einmal von den heftigen Atemgeräuschen ab, geht es in dem 1969 von Jane Birkin und Serge Gainsbourg intonierten Duett um durchaus Ernstes – Die Unmöglichkeit, einem anderen Menschen jemals wirklich nahe zu sein. Besser hätte man das deutsch-französische Verhältnis nicht beschreiben können. Denn in jeder Hinsicht, ob politisch, wirtschaftlich, philosophisch, gesellschaftlich oder kulturell herrschen schier unüberwindbare Gegensätze. Und ausgerechnet dieses äußerst ungleiche Paar steht, Geschichte und Geographie oblige, im Zentrum des europäischen Projekts, welches zur Zeit stürmische Fahrwasser durchquert.

Die Europäische Union ist die bisher letzte Antwort auf die "Deutsche Frage", die Europa nicht erst seit dem 19. Jahrhundert in Atem hält (hierzu ein Abriss von Brendan Simms, Spezialist europäischer Geschichte an der Cambridge University, der jedoch mit "Wir brauchen mehr Europa" reflexartig die falschen Schlüsse zieht). Ihr Herzstück, die institutionalisierte Verhinderung einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich mag uns in Zeiten von Bionade in Pariser Bars und französischer Kitas in Berlin mehr als anachronistisch vorkommen. Nicht wegzudiskutieren ist jedoch die Tatsache, dass die europäischen Institutionen deutsche Macht, auch im deutschen Interesse, wenn nicht begrenzen, so doch wenigstens "in den Dienst eines geeinten Europas" stellen sollten und sollen.

Die deutsch-französischen Beziehungen spiegeln diese subtile Suche nach einem Kräftegleichgewicht wider. So leistete Deutschland die von Frankreich geforderte Opfergabe der Deutschen Mark, um der Wiedervereinigung ihre Bedrohlichkeit zu nehmen. Und Frankreich wiederum akzeptierte im Ausgleich die Europäische Zentralbank als Abbild der Bundesbank, Ikone von Geldwertstabilität und politischer Unabhängigkeit.

Es ist nicht ohne Ironie und Tragik, dass ausgerechnet die Wirtschafts- und Währungsunion, diese willentliche Einschränkung staatlicher Macht zu einem Erstarken von Deutschland innerhalb der EU geführt hat. Macht, die Deutschland de facto eine Führungsrolle abverlangt, die es aber nicht bereit ist zu spielen, zumindest nicht allein. Frankreich mag sich, was seine Wirtschaftskraft betrifft, aktuell in einer schwächeren Lage befinden. Es hat aber gegenüber Deutschland einen eindeutigen Vorteil. Es existiert trotz mannigfaltiger Brüche seiner Geschichtetes als historische Kontinuität, geübt in der Wahrung französischer Interessen. Deutschland hingegen fällt die Artikulierung nationaler Anliegen ausserhalb des europäischen Rahmens bekanntermassen schwer. Das wird besonders ersichtlich, wenn Politiken, die doch dem Wohl Europas dienen sollen, in Zielländern mit Hakenkreuzparolen begrüsst werden.

Ob "Merkozy" oder "Merkollande", Deutschland und Frankreich sind aus ganz unterschiedlichen Gründen aufeinander angewiesen. Ihr Verhältnis wird die Europäische Union auch weiterhin entscheidend prägen.

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