Donnerstag, 25. April 2013

Rutschpartie im Louvre. Von Johanna Möhring

Meist herrscht ja zwischen Deutschen und Franzosen freundliche Gleichgültigkeit. Sollte man jedoch Zeitungsartikeln unter anderem in “Le Monde”, der “Zeit” und der “FAZ” Glauben schenken, spielt sich zwischen Teilen von Frankreichs und Deutschlands Kulturelite momentan ein Psychodrama des Missverständnisses ab. Stein des Anstosses ist die Ausstellung “De l'Allemagne”, die im Louvre mehr als 200 Werke deutscher Kunst von Caspar David Friedrich bis Max Beckmann zum ersten Mal zusammen zeigt. Den Franzosen wird undifferenziertes Klischeedenken vorgeworfen, welches in gewohnter Weise eine gerade, fast teleologische Linie zwischen der teils dunklen Bildwelt der deutschen Romantik und dem Verhängnis des Nationalsozialismus zöge (unübertroffen die FAZ - “Aus tiefem Tal zu Riefenstahl“). Die “Zeit” vermutet gar eine bewusste politische Inszenierung, um deutsche Europapolitik und die von Deutschland orchestrierten Sparmaßnahmen zwecks Euro-Rettung zu dämonisieren. Die Franzosen sind ebenso erstaunt wie verletzt und verweisen auf deutsche Beteiligung bei der Konzeption der Ausstellung.

In der Pariser Metro: ...von hohen Bergen (Ausstellungsplakat mit Motiv von Carl Gustav Carus, 1824)
Vielleicht lag es am zügigen Durchschreiten bedingt durch den nur mässig erfolgreichen Versuch, zwei kleinen deutschen Kindern museal zuträgliches Benehmen abzuringen – ich konnte solch finstere Absichten nirgends entdecken. Vielmehr bot sich mir, wie wahrscheinlich vielen meiner Generation, die mit einem seltsam zeitlich zerrissenen Geschichts- und Kunstbild von Deutschland groß geworden sind, zum ersten Mal eine nachvollziehbare Entwicklung deutscher Kunst von der Romantik bis hin zur modernen Bildsprache des Expressionismus. Natürlich nach innen gewendet, suchend nach der eigenen Identität, einem politischen Selbstverständnis. Natürlich mit viel Natur und teils schwülstigen Mythen. Aber auch immer inspiriert im Austausch mit und durch das europäische Ausland.

Der  „Tagesspiegel“ rückt so auch den Eindruck zurecht, die Franzosen hätten sich einer bewussten Fehlinszenierung schuldig gemacht. Fakt ist, dass das Interesse an deutscher Kultur selten so stark war wie jetzt, und das jenseits von Wagner in Pariser Konzertsälen. Deutsches Theater und Tanz haben Hochkonjunktur: Thomas Ostermeier, Falk Richter und Peter Stein touren durch Frankreich, Stücke von Pina Bausch oder Sasha Waltz sind immer ausverkauft. Besucher strömen in die Deutschland-Ausstellung. Sicher sehen die Franzosen deutsche Kunst mit französischen Augen. Doch echte Neugierde, sich mit Deutschland über das Medium der Kunst zu beschäftigen, scheint vorhanden. 
...direkt in den Abgrund?  (Station „Stalingrad“ im 19. Arrondissement)
Anne Louise Germaine de Staël (1766 - 1817), genannt Madame de Staël, an deren Werk „Über Deutschland“ sich der Titel der Ausstellung inspiriert und welches über Jahre das Bild Deutschlands in Frankreich als Land der (wenn auch harmlosen) Dichter und Denker geprägt hat, hätte sich über solche Reaktionen amüsiert. Von ihr, deren spitze Zunge Goethe und Schiller das Fürchten lehrte, stammt das folgende Zitat: 
"Ein Franzose weiß immer noch zu reden, selbst wenn er keine Gedanken hat: ein Deutscher dagegen hat immer etwas mehr Gedanken im Kopf, als er aussprechen kann."
Ob hier vielleicht - ausnahmsweise - einmal das Gegenteil der Fall war?

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