Mittwoch, 4. September 2013

Wie ein Friedensprojekt zum Zankapfel wurde – Zur wachsenden Germanophobie in der EU. Von Johanna Möhring

Die Europäische Union zieht ja bekanntermaßen einen großen Teil ihrer Daseinsberechtigung daraus, dass sie dem europäischem Kontinent dauerhaft Frieden beschert hätte. Das Herzstück dieses Friedensprojektes bildet die Aussöhnung zwischen den ehemaligen Erbfeinden Deutschland und Frankreich. Auch dem Euro, vorrangig im Dienste der wirtschaftlichen Einigung des Kontinents unterwegs, in Wahrheit jedoch ein zutiefst politisches Projekt, wurde im Vorfeld zusätzlich das Kostüm des Friedensengels übergezogen. Denn schon vor seiner Einführung im Jahre 1999 warnten Ökonomen vor den fehlenden wirtschaftlichen Voraussetzungen der zu schaffenden gemeinsamen Währungszone. Zu heterogen erschienen die Mitgliedsländer, zu wackelig die Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Doch Deutschland nahm auf Drängen Frankreichs den Souveränitätsverlust, die Aufgabe seiner eigenen Währung billigend in Kauf, Wiedervereinigung oblige: Der Stabilitäts-und Wachstumspakt und die zukünftig zu erwartende Konvergenz zwischen Mitgliedsstaaten sollten etwaige Bedenken ausräumen. Eine Europäisierung der die Wirtschafts– und Währungsunion notwendig ergänzenden politischen Kompetenzen, wie zum Beispiel Budgethoheit, ließen sich in Verhandlungen zum Maastricht-Vertrag nicht durchsetzen.

Die seit 2008 andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise, die ab 2010 in eine Schuldenkrise der europäischen Staaten mündete, zwingt nun Politiker und Bürger gleichermaßen, sehr unangenehmen Tatsachen in die Augen zu sehen: Anstatt wie erhofft ein friedliches Deutschland dauerhaft in Europa zu verankern, ist der Euro zum Zankapfel geworden, der Europa spaltet. Zum Schrecken besonders der deutschen Bevölkerung mutiert Deutschland ungewollt vom „guten“ Deutschen, der seine Kräfte und seinen Wohlstand in den Dienst Europas stellt, zum „hässlichen“ Deutschen, der Europa wirtschaftlich und damit politisch dominiert, gar unterjocht. Von Hakenkreuzfahnen-schwenkenden Griechen einmal ganz abgesehen: Umfragen dokumentieren wachsende Unruhe gegenüber Deutschlands Führungsrolle, die ihm als einzigem noch mehr oder weniger solventem Euroland in den Schoss gefallen ist: Nach einer Harris-Meinungsumfrage der Financial Times von Juni 2013 zeigen sich zum Beispiel 88% der Spanier und 82% der Italiener über den wachsenden Einfluss von Deutschland in Europa besorgt (Ende 2011 beliefen sich die Umfragewerte noch auf respektive 67% und 53% ).  56% aller Franzosen teilen diese Meinung.

Für die Deutschen, die jede Vorstellung von Hegemonie zurückweisen, ist diese Entwicklung nicht nur schmerzhaft, sondern auch besorgniserregend.

„The Horror, the horror“...Angela Merkel alias Col. Walter E. Kurtz im tiefen Dschungel der Wirtschafts-und Währungsunion

Gerade Frankreich hat an der Erosion seiner Vormachtstellung in Europa, die durch die Irren und Wirren der gemeinsamen Währung offenbar wird, schwer zu knappsen. Zwar billigte im Juli der Internationale Währungsfond Frankreichs Abkehr vom radikalen Sparkurs, eine gute Nachricht für Hollande im französischen Sommerloch. Doch das Grundproblem, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft, die ein kostspieliges Sozialsystem stemmen muss und seit Jahrzehnten daran scheitert, Arbeitsplätze, besonders für junge Menschen, zu schaffen, bleibt bestehen. Wie man dem Ende letzten Jahres vorgestellten Berichts des „Generalinvestitionskomissars“ Louis Gallois entnehmen kann, hat Frankreich durchaus das demographische und innovationstechnische Potential, eine wirtschaftliche Strukturwende zu schaffen. Doch dazu braucht es einen langen Atem, von einer sich erst langsam entwickelnden Konsenskultur ganz zu schweigen.

Da ist es natürlich einfacher, ob politisch rechts oder links, auf die Nachbarn östlich des Rheins zu schimpfen, die sich mit Hilfe des Euro unliebsamer wirtschaftlicher Konkurrenz in Europas entledigten.  Es ist kein Zufall, dass zum Beispiel ein Emmanuel Todd, namhafter Geograph und einflussreicher Sozialforscher diesen Mai in einer Talkshow im 2. Programm des staatlichen französischen Fernsehens zum Thema Germanophobie in der EU gleich zweimal das Wort „exterminer“ (vernichten; Vernichtungslager heißen auf französisch „camps d'extermination“) im Zusammenhang mit deutscher Industriepolitik benutzte. Im Beisein der beiden sichtlich geschockten deutschen Gäste der Sendung, Ulrike Guérot und Joachim Bitterlich. Und ohne Widerrede seitens der französischen Gastgeber. Gewiss war diese Sendung absichtlich polarisierend inszeniert. Doch solche Äußerungen sprechen Bände über die Gefühle, die ein wirtschaftlich, und damit de facto politisch dominierendes Deutschland nicht nur in Frankreich hervorrufen.

Es ist wahrlich eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die EU (und mit ihr der Euro), dieses normativ-regulatorische Korsett, das Deutschland in eine für Europa und für sich erträgliche Form pressen sollte, nun nolens volens Deutschland zu wirtschaftlicher, und damit politischer Vormachtstellung verholfen hat. Gleichzeitig erscheint Deutschland aber aufgrund des europäischen und nationalen institutionellen Rahmens fast manövrierunfähig, hin- und her gerissen zwischen den widersprüchlichen Anforderungen, die es erfüllen soll. Auf der einen Seite stehen Deutschlands Bürger, die deutliche Zweifel an weiterer Kompetenzverlagerung (Stichwort Bankenunion und Fiskalunion) zur Rettung der gemeinsamen Währung ausdrücken (hierzu die aktuellen Open Europe/ YouGov Deutschland Umfrageergebnisse). Natürlich sei Europa für Deutschland wichtig, aber für den Euro viel Geld ausgeben und dann noch mit europaweitem Liebesentzug abgestraft zu werden? Nein danke! Hier pflichten andere EU-Staaten bei, die darauf hinweisen, dass nicht alle Europäer notwendigerweise wie Deutsche sein wollen oder sein können.  Die Anhänger eines „Mehr Europa“ im In- und Ausland pochen jedoch gerade auf weitere Vergemeinschaftung: Nur die konsequente Vollendung der Währungsunion durch politische Union, oder zumindest eine Euro-Solidargemeinschaft wären ein Ausweg aus der Krise. Und ungefähr alle sind sich einig, dass das aktuelle Krisenmanagement mit Hang zu intergouvernementalen Entscheidungen zu Intransparenz und mangelnder demokratischer Legitimität beiträgt.

Lange Zeit war es nicht nur notwendig, sondern auch bequem, nationale Anliegen in den Mantel europäischer Interessen zu hüllen. Doch die Zeit der Deckungsgleiche ist endgültig vorbei. Niemand bestreitet, dass Deutschland institutionell und emotional gehemmt ist, Führungsverantwortung zu übernehmen. Und auch dem oberflächlichsten Beobachter kann nicht entgangen sein, dass Euro-Problemlösungen aus technischer und politischer Sicht mehr als herausfordernd sind, zumal immer gleichzeitig auf mehreren Spielfeldern (national, EU-Ebene,  internationale Finanzmärkte...) gespielt wird. Was Deutschland von europäischen Partnern in der Eurokrise jedoch vorgeworfen wird, ist eine Mischung aus Arroganz und Ahnungslosigkeit. Schwer wiegt die offensichtliche Abwesenheit einer Strategie, vor allem die einer Kommunikationsstrategie, was längst vergessen geglaubten Ressentiments Tür und Tor öffnet. In Deutschland schrillen deshalb die Alarmglocken: Altkanzler Helmut Schmidt warnte zum Beispiel im Dezember 2012 vor deutschen Alleingängen. Ein „deutsches Europa“, so Ulrich Beck, welches anderen sein Wirtschaftsmodell aufzwänge, könne es nicht geben. Laut Jürgen Habermas und Joschka Fischer (respektive in einer Rede im April 2013 in Leuven und in einem Gastbeitrag im Mai 2013 in der Süddeutschen Zeitung) hätte Deutschland allein schon aus historischer Sicht die Pflicht, gemeinsame Haftung, einen EU-weiten Länderfinanzausgleich und den (weiteren) Verlust nationaler Souveränität hinzunehmen.

Europa 2021, Wien die Hauptstadt eines „germanischen“ Europas? Peter Arkle illustrierte für das Wallstreet Journal eine Polemik von Niall Ferguson aus dem Jahr 2011

Graf Kielmansegg spricht im Zusammenhang des deutschen Umgangs mit der Europäischen Union von einer “Sakralisierung” des Projekts europäischer Einigung, Ziel und Zweck dessen nicht hinterfragt werden darf und kann. Solch freiwillige Selbstbeschränkung, selbst mit den besten Absichten, entmündigt jedoch den Bürger und delegitimiert in letzter Konsequenz die Demokratie an sich. Auch wenn besonders wir Deutsche das gerne glauben würden, Politik lässt sich nicht auf die Umsetzung moralischer Imperative reduzieren. Sie bedeutet auch Machtausübung, Konflikt, Dissens, Debatte. Und den ein oder anderen Regelbruch.

Es lohnt, sich vor Augen zu führen, dass es trotz der äußerst komplexen Lage (starres Regelkonstrukt der EU, besondere historische Verantwortung von Deutschland gegenüber seinen europäischen Partnern...) immer Entscheidungsoptionen gibt. Dekretierte „Alternativlosigkeit“ ist eine risikoreiche Strategie, die im Zweifel entscheidenden politischen Handlungsspielraum raubt. Angela Merkel scheint sich dessen bewusst zu sein -  so ließe sich vielleicht ihr sommerlicher Testballon bezüglich einer möglichen Rückverlagerung von EU-Kompetenzen auf nationale Ebene interpretieren. In Zeiten wachsender Germanophobie ist jedenfalls nicht Gesinnungsethik — ein Festhalten an Prinzipien, die sich eventuell als impraktikabel herausgestellt haben, sondern Verantwortungsethik — Handeln mit Blick auf seine Folgen gefragt. Das sind wir uns und Europa schuldig. 

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