Mittwoch, 20. November 2013

Verführung als Waffe – La “French Touch”. Von Johanna Möhring

Wettbewerbsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit – das Wort ist in Frankreich in aller Munde, besonders mit Blick auf den deutschen Nachbarn. Aber wie schrecklich unzivilisiert ist sie doch, diese Wettbewerbsfähigkeit. Allein schon die Idee, den Vergleich in offener Konfrontation zu suchen, muss einen Franzosen ob seiner Primitivität schockieren. Nein, Frankreich ist da traditionell viel subtiler. Wie Elaine Sciolino, langjährige New York Times-Korrespondentin in Paris für alle Nicht-Franzosen aufdeckte, dreht sich hier - ganz im Gegensatz zum deutschen Nachbarn - alles um Verführung. Und das auch jenseits von Flirt oder erotischer Eroberung.

Die Wichtigkeit von Stil und Form lässt sich in Frankreich in keinster Weise unterschätzen. Verführung, das “Für-Sich-Gewinnen” mit Hilfe von Ästhetik und intellektueller Brillanz ist ein Herrschaftsinstrument, dessen sich Frankreich auch in den internationalen Beziehungen bedient. Besorgte Zeitgenossen fragen sich jedoch, inwiefern Verführung funktionieren kann, wenn die stillschweigend angenommene zugrundeliegende Machtbasis, auch ökonomischer Natur, einer stetigen Erosion ausgesetzt ist - zuletzt symbolisiert durch eine weitere Herabstufung französischer Kreditwuerdigkeit zu Beginn November. Während Frankreich sich selbst weiterhin als glaubhafte Alternative zum „ultraliberalen“ angelsächsischen Modell wahrnimmt, quittiert die Welt solche Ansprüche zunehmend mit Unglauben.

Vor ziemlich genau zehn Jahren meldete sich Nicolas Baverez, ein klassisches Produkt der französischen Elite (École Nationale d'Administration und École Normale Supérieur, Kaderschmieden der politischen Klasse Frankreichs) mit „La France qui tombe. Un constat clinique du déclin français“ (Frankreich fällt. Eine klinische Analyse des französischen Niedergangs) zu Wort. Die Anklagepunkte dieser Streitschrift, die auf geschlossene Ablehnung stiess, haben nichts an Aktualität verloren: Stagnation der Kaufkraft und Anstieg von Armut; großzügige Verteilung von unfinanzierten und unfinanzierbaren sozialen Rechten; mangelnde Staatsinvestitionen in Forschung und Entwicklung; ein überdimensionierter öffentlicher Sektor, der den produktiven Teil der Wirtschaft erdrückt; ein mangelhaftes Bildungssystem, das einen Teil seiner Jugend ohne jeglichen Abschluss auf den Arbeitsmarkt entlässt;  das ganze gekrönt von einer Regierung „der Beamten, durch die Beamten und für die Beamten“, die vor dringenden nötigen Reformen zurückschreckt und sicher lieber dem kurzfristigen Machterhalt widmet.


“Wenn Verführung zur Waffe wird” - Gesehen auf Pariser Strassen (Herbst 2013)

Dass es um Frankreichs Wirtschaft in der Tat nicht besonders gut steht, dürfte bekannt sein. Die Arbeitslosigkeit erreicht weiterhin Rekordwerte (11% gegen 5,3% in Deutschland), eine leichte Besserung nach der Sommerpause war leider nur auf eine Statistikpanne zurückzuführen. Die französische Industrie, die 3 Millionen Menschen zu Lohn und Arbeit verhilft (in Deutschland sind es ca. 8 Millionen), verliert weiter an Boden – von 2007 bis 2012 schwanden 309 000 Arbeitsplaetze dahin, waehrend im selben Zeitraum in Deutschland 155 000 dazukamen.

Schuld ist ein Teufelskreis, der sich nur schwer durchbrechen lässt: Französische Industriegüter sind, was die Wertschöpfung betrifft, tendenziell eher im Mittelfeld anzutreffen und so anfällig für Lohnstückkosten-Konkurrenz aus dem Ausland. Dringend nötige Investitionen in Produktionsanlagen und Mitarbeiter werden jedoch aufgrund zu knapper Margen seit Jahren aufgeschoben. Diese schmelzen zudem weiter zusehends dahin: Schuld ist der aktuelle Versuch, die Konsolidierung der Staatsfinanzen allein per Steuererhöhungen erreichen zu wollen. Zudem steckt Kooperation von kleinen und mittelständischen Unternehmen untereinander oder mit Universitäten oder mit grösseren Firmen noch in den Kinderschuhen. Ein Dienstleistungssektor, der der produzierenden Industrie wie in Deutschland zuarbeitet, entwickelt sich aufgrund höherer Löhne nur langsam. Aber ist die Lage wirklich so düster, wie sie gerne gemalt wird?

“Wettbewerbsfähigkeit kann auch sehr schön sein”
Eine Arbeit von Renotte Riot, einem Bronzespezialisten, Teil der französischen Luxusgüterindustrie, die 2011 einen Handelsbilanzüberschuss von 34 Milliarden Euro erwirtschaftete (Luft-und Raumfahrt brachte es im selben Jahr auf 17 Milliarden).

In der Tat braucht die französische Industrie den von Louis Gallois angemahnten “Kompetitivitätsschock” (hier zum Bericht des „Generalinvestitionskomissars“ Louis Gallois). Betrachtet man aber einmal isoliert die Lohnstückkosten in der Industrie, die rein preisliche Wettbewerbsfähigkeit, liegt Frankreich nicht weit entfernt von Deutschland. Laut einer McKinsey Studie von 2012, “Manufacturing the future: The next era of global growth and innovation”, belaufen sich die durchschnittlichen Lohnkosten inklusive Sozialleistungen in Frankreich auf 26,7 USD/h (ca. 19 EUR) und in Deutschland auf  28,4 USD/h (ca. 20,6 EUR). Durch Auslagerung von nicht-wesentlichen Teilen des Produktionsprozesses nach Mittel-und Osteuropa sinken diese in Deutschland jedoch um 20%. Hier könnte Frankreich sich den Maghreb mehr zu Nutze machen, und so lässt sich sicher auch ein Teil der Mittelmeerpolitik Frankreichs erklären.


 Renault und „La French touch” - Mit Humor gegen deutsche Konkurrenzprodukte
Eine Anspielung auf VW- Werbungen in Frankreich “Das Weltauto”

Wo Frankreich punkten kann, ist in einigen Bereichen der Wirtschaft die nichtpreisliche Wettbewerbsfähigkeit, zum Beispiel, was Design und Qualität betrifft. Die Marke “Made in France” ist durchaus etabliert, die Konnotationen sind jedoch eher kultureller, gesellschaftlicher oder politischer Natur. Spontan kommen einem Mode und Lifestyle, Filmindustrie, Tourismus oder Landwirtschaft in den Sinn. Es fehlt jedoch im Gegensatz zu deutschen Produkten eine reine Qualitäts- oder Technik-Narrative. So betonen französische Automarken vor allem Design, statt ihre Ingenieurkunst in den Vordergrund zu stellen. Das stellt  für die durchaus innovative französische Hightech/ Militär/ Luftfahrt-Branche ein “Imageproblem” dar. Neuankömmlinge auf dem Markt umgehen dieses Hindernis gerne, in dem sie sich englische Namen geben, wie zum Beispiel Parrott (drahtlose Musikanlagen) oder Bookeen (Lesegeräte).


“Rendez-vous en France” – zwei Logos für die französische Tourismusindustrie. Die formschöne, aber recht offenherzige erste Version wurde dann doch zensiert

Frankreich hat, ob preisliche oder nichtpreisliche Wettbewerbsfähigkeit, in gewissen Branchen durchaus einige Asse im Ärmel, die sich sicher ausbauen liessen. Die eingangs von Nicolas Baverez beschriebenen Hindernisse, die Frankreichs Unternehmertum zum Hürdenlauf werden lassen, bleiben jedoch auch zehn Jahre nach seinem aufrüttelnden Manifest bestehen. Den sogenannten Eliten mangelt es an Kreativität - statt zu handeln, erwartet man lieber vom Staat Problemlösungen, die dieser nicht liefern kann. Mehr als 20% der 18-24-Jährigen verlassen das französische Bildungssystem jedes Jahr ohne Abschluss und damit ohne reelle Chance auf Einstellung. Und was eine fehlende Kultur der Kooperation und Konzertation in Krisenzeiten anrichtet, lässt sich aktuell in der Bretagne erkennen, wo eine offene Revolte gegen eine Ökosteuer zu Millionenschäden führt.

Verführung als Waffe im Arsenal der Machtausübung hat sich für Frankreich über Jahrhunderte bewährt. Doch sollte es nicht in der Lage sein, die Fundamente seiner Macht – Wirtschaftskraft, Innovationfähigkeit und „Staatskunst“ – zu erneuern, läuft es Gefahr, seine Anziehungskraft zu verlieren.

Ein entscheidender Trumpf, den Frankreich in den nächsten 15-20 Jahren gegenüber Deutschland spielen kann und wird, ist der sehr viel favorablere demographische Ausblick. Über kurz oder lang wird der Mangel an Nachwuchs Deutschlands Wirtschaft in arge Bedrängnis bringen. Frankreichs Frauen, quer durch alle Schichten, kriegen im Schnitt 2,1 Kinder, was ausreicht, um die Bevölkerung stabil zu halten. Im stetig ergrauenden Europa und vor allem im Vergleich zu Deutschland (1,4 Kinder pro Frau) ist dies rekordverdächtig. Der - typisch französische - “Deklinismus” will und kann aus gegebenen Anlass leider nicht aus der Mode kommen: Doch eine Gesellschaft, die an ihre Zukunft glaubt (und was anderes sind Kinder?), hat Lebensenergie. Es wäre verfehlt, Frankreich und sein Verführungspotential zu früh abzuschreiben.

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