Dienstag, 2. September 2014

Der Preis der Sozialdemokratie - Eine „Rentrée quitte ou double“ für François Hollande. Von Johanna Möhring

Die Ferien sind vorbei, „c'est la rentrée“, ab heute heißt es für Millionen französischer Kinder wieder die Schulbank drücken. Die politische Welt hatte ihre „Rentrée“ schon letzte Woche, und das mit gleich mehreren Paukenschlägen – die Regierung Valls fiel am 25. August, bedingt durch die Rücktritte Arnaud Montebourgs, Wirtschaftsminister und Benoît Hamons, Bildungsminister, die die Regierungspolitik in Wirtschaftsfragen nicht mehr mittragen wollten. Indem der Präsident Manuel Valls erneut mit der Regierungsbildung beauftragte, machte François Hollande vor allem eins deutlich - er will an seiner Angebotspolitik  festhalten, gegen allen Widerstand aus eigenen Reihen.  
C'est la rentrée - doch dieses Jahr gibt es für François Hollande wenig zu lächeln
Symbolisiert wurde der offene Bruch mit dem linken Flügel der Parlamentsmehrheit zum einen durch den Auftritt Valls auf der Sommeruniversität der Arbeitgeber am 27. August, auf der dieser für den „pacte de responsabilité“ warb. Ebenfalls ein rotes Tuch: die Nominierung von Emmanuel Macron, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär des Elysee-Palasts und Vertrauter Hollandes zum Wirtschaftsminister. Kein Wunder –  hat doch Macron unter anderem in jungen Jahren bei der Bank Rothschild Fortune gemacht

François Hollande setzt vor dem Hintergrund von Rekordarbeitslosigkeit (3,398 Millionen Arbeitssuchende waren es im Hexagon im August 2014) und nichtexistentem Wirtschaftswachstum „quitte ou double“ auf eine sozial-liberale Wende. Das ist nicht ohne Risiko: Mit etwas gutem Willen lassen sich die potentiell für links stimmenden Wähler auf 40 – 45 % der französischen Wahlberechtigten beziffern, 30% entfallen hiervon auf die Sozialisten. Von diesen unterstützen jedoch nur etwa 15% den Kurs von Manuel Valls. Das ist wenig, zu wenig, um Repräsentatitivät zu beanspruchen. 
Krieg der Linken, titelt die „Libération“ - noch halten die Truppen still
Droht nun der politische Aufstand? Nicht unbedingt – die V. Republik ist so konzipiert, um gegen allen Widerstand die Regierungsfähigkeit der Exekutive zu gewährleisten. Auch haben die sozialistischen, linken und grünen Parlamentarier nicht unbedingt Interesse an vorgezogenen Neuwahlen, da diese immer mit dem Risiko eines Mandatsverlusts einhergehen. Zudem hat man in der sozialistischen Partei den Kongress von 2015 im Blick, auf dem die Weichen für die nächste Präsidentschaftswahl im Jahre 2017 gestellt werden. Es spricht also einiges dafür, dass die „frondeurs“ – die Aufständischen der sozialistischen Partei, die den sozial-liberalen Kurs nicht mittragen möchten – erst einmal stillhalten könnten. 
Der Preis der Agenda 2010 – „Die Linke“
Problematisch sind jedoch die längerfristigen Konsequenzen einer tatsächlichen sozial-liberalen Neuorientierung der sozialistischen Partei – das Zersplittern des gesamten linken Flügels. 

Das Ende der „gauche plurielle“, der pluralistischen Linken jenseits von politischen Grabenkämpfen würde das Ende der einst von Mitterrand auf dem Parteikongress von Epinay 1971 entwickelten Arithmetik für einen linken Wahlsieg bedeuten. Die Erfahrung von Schröders Agenda 2010 sollte Hollande zu denken geben: Die Quittung kam für die deutschen Sozialdemokraten an den Urnen – Von 40,9 % bei den Bundestagswahlen im Jahr 1998 sackten die Genossen bis auf 25-26% Prozent im Jahr 2013 ab. Als Antwort auf die Reformen formierte sich „Die Linke“, auf die seitdem auf Bundesebene zwischen 8-10% der Wählerstimmen entfallen.

So gesehen ist der Einsatz „quitte ou double“ von Hollande ein ziemliches Vabanquespiel. 

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