Freitag, 17. Oktober 2014

Flagge zeigen – Frankreich, Deutschland und die EU in der Ukrainekrise. Von Johanna Möhring

Frankreichs Haushaltstorturen und sein Duell mit Brüssel lassen sie leicht in Vergessenheit geraten: Die seit Februar andauernde Krise in der Ukraine, und ein Ende ist nicht abzusehen. Die Ingredienzien dieses Konflikts - Nationalismus, Territorialansprüche, sowie diametral unterschiedliche Lesarten gemeinsamer Geschichte - sind der Alptraum, der der Idee eines geeinten Europas einst institutionelle Wirklichkeit verlieh. Doch was ist die Strategie der Europäischen Union und der beiden Mitgliedstaaten Frankreich und Deutschland in diesem Konflikt? 
Prinzipien kosten Geld - 180 Millionen Euro stehen zur Entschädigung europäischer landwirtschaftlicher Unternehmen bereit
Zuerst einmal ein paar gute Nachrichten: Entgegen russischen Kalküls hat es bis jetzt keinen Bürgerkrieg in der Ukraine gegeben, der das Land entlang ethnischer oder linguistischer Trennlinien auseinander reißt. Und zum zweiten ist es Putin nicht gelungen, die EU-Mitgliedsstaaten auseinander zu dividieren. Trotz innenpolitischer Proteste von ganz links bis ganz rechts (hier ein kleiner Blick auf die „Putinversteher“ in Deutschland und in Frankreich) gibt es eine gemeinsame Front der großen europäischen Regierungen gegen Russlands Politik, wenn nicht der Expansion, dann doch der exklusiven Einflusssphären. 

„Macht Europa statt Krieg“ – heißer Tipp aus Frankreich an die Konfliktparteien, gesehen in Pariser Strassen anlässlich der diesjährigen Wahlen zum Europäischen Parlament
Nun zu den schlechten Nachrichten: Kriegerische Auseinandersetzungen in der Ostukraine dauern an und fordern weiter Opfer, trotz des Anfang September ausgehandelten Waffenstillstands. Ob ein von Frankreich und Deutschland gemeinsam geplanter OSZE-Einsatz von Drohnen vor Ort Abhilfe schaffen kann, ist fraglich. Eines ist jedoch klar: Russland hat die EU und ihre Mitgliedstaaten mit seiner Strategie der Kriegsführung, die geschickt Medienmanipulation, Militärmanöver und ökonomischen Druck mischt, schlicht überrumpelt. Es gelingt ihm zudem, sich als nicht-liberale, nicht-islamisierte und nicht-westlich korrumpierte Alternative zum „dekadenten“ Westen zu präsentieren (Zitat „Gayrope“). Und die Gegensanktionen, die Russland gegen Europa verhängt hat, beißen doch ein wenig

Matrjoschkas haben es in sich
Was sagt die Ukrainekrise über das Verhältnis von Frankreich und Deutschland zueinander und zu Russland aus? Zuerst einmal fällt auf, dass Deutschland im Dossier Ukraine im Vordergrund steht. Zwar wird Frankreich als gewichtige Stimme in den internationalen Beziehungen geflissentlich in die diplomatische Arbeit einbezogen, ebenso wie wichtige Nachbarländer, aber den Ton gibt Berlin an. Fast so, als würde es in der europäischen Nachbarschaftspolitik eine geographische Arbeitsteilung geben – der Osten für Deutschland, der Süden für Frankreich. 

Beiden Ländern ist klar, dass das Verhältnis zu Russland neu definiert werden muss. Nur wie? Beide haben ökonomische Interessen, die neben dem Wunsch nach Stabilität auf dem europäischem Kontinent außenpolitisches Verhalten beeinflussen. Deutschland ist wirtschaftlich wesentlich stärker mit Russland verknüpft als Frankreich, doch es scheint bereit, Kosten zu tragen, wenn sie auch manchmal recht symbolisch ausfallen. 

Nach langem Zögern, gedrängt von Freunden und Alliierten, hat sich auch Frankreich Anfang September zu einem aussagekräftigen Schritt durchgerungen – Lieferstopp der berühmten „Mistral“, Hubschrauberträger der französischen Marine an Russland, 2010 von Präsident Sarkozy bewilligt und für 1,2 Milliarden EUR 2011 in Auftrag gegeben. Kurioserweise nahmen aber schon am 13. September russische Mannschaften vor Ort  ihr Training auf hoher See wieder auf... Verrückte Welt. 
Die Last der Vergangenheit, via The Economist
Und die Europäische Union in dem Ganzen? Mehr als 20 Jahre ist es her, dass Europa schon einmal anlässlich der Kriege im ehemaligen Jugoslawien mit Dämonen ringen musste, die auf europäischem Boden längst gebannt schienen. Von damals bleiben vor allem drei Dinge im Gedächtnis: Die Machtlosigkeit europäischer und internationaler Institutionen, die nichtkoordinierten Vorgehensweisen einzelner EU-Staaten und letztendlich die Notwendigkeit amerikanischen Eingreifens, um die Konfliktparteien zu Kompromissen zu zwingen. 

Seit den Bürgerkriegen des ehemaligen Jugoslawiens ist einiges geschehen, sollte man meinen: Vertrag auf Vertrag wurden Kompetenzen im Bereich gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik in Richtung EU verlagert. Doch heute wie damals wird deutlich: Weder die Europäische Union, noch die einzelnen Mitgliedstaaten haben bei kritischen Dossiers wirklich überzeugende Handlungsoptionen vorzuweisen. 
Die Wettervorhersage : Regnerisch - bedeckt halten
Ironischerweise ist das Europa der Verteidigung ein weiteres, prominentes Opfer der Krise in der Ukraine. Alle noch vorhandenen Kräfte (im Falle der Bundeswehr ohnehin schon schwer dezimiert, doch auch bei den Franzosen kracht es im Gebälk) konzentrieren sich nach den Erfahrungen der letzten Monate auf das Nordatlantische Bündnis. „Reassurance“, das Beruhigen der Allianzpartner durch gemeinsame Manöver, u.ä. ist in aller Munde. 

Wenn es hart auf hart kommt, übernimmt also weiterhin die USA eine Art Generalverantwortung in Europa. Doch sollten wir uns nichts vormachen – die Welt außerhalb europäischer Landesgrenzen ist bestens in der Lage, dies, ebenso wie unsere reichlich desolate wirtschaftliche Lage zu durchschauen. Und es ist eher unwahrscheinlich, dass die Geschichte uns weitere 25 behütete, unbehelligte Jahre zuteilen wird. Da heißt es, sich warm anziehen: Willkommen in der Welt der Machtpolitik.

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